Gendern: Gar nicht so gaga!

04.04.2024  — Samira Sieverdingbeck.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Seit dem 1. April ist Gendern durch Gender-Stern, Binnen-I und Co. an Schulen, Hochschulen und Behörden in Bayern nun ausdrücklich verboten. Auch die hessische Landesverwaltung will verkürzte Formen zum Gendern einschränken. Sollten wir gendern also lieber gleich ganz lassen?

Was bringt Gendern denn überhaupt?

Gendern strebt eine Verwendung von Sprache an, die alle Geschlechter gleichermaßen anspricht. Aber brauchen wir dazu neue Formen? Bisher wurde als „neutrale“ Form meist das generische Maskulinum verwendet. Das heißt, man spricht von „den Schülern“ meint aber alle Kinder der Klasse, unabhängig des Geschlechts. Besonders Gegner und Gegnerinnen des Genderns argumentieren häufig, dass mit dem generischen Maskulinum doch „alle gemeint“ seien. Belegen lässt sich das jedoch nicht.

Auf der einen Seite ist das Argument historisch nur schwer nachvollziehbar. Zwar wurde auch früher oft die männliche Wortform verwendet, jedoch zuweilen für Berufe und Tätigkeiten, die Frauen nicht ausüben durften – es mussten also gar nicht alle gemeint werden.

Auf der anderen Seite zeigen aktuelle Studien, dass vielleicht „alle gemeint“ sind, das aber nicht immer so verstanden wird. Sehr anschaulich zeigt das die Studie „Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men”. Machen Sie den Selbstversuch:

Ist der jeweils zweite Satz eine sinnvolle Fortsetzung des ersten? Antworten Sie mit „Ja“ oder „Nein“.

  • 1. Die Lehrer beginnen die Wanderung.
    2. Einige der Männer tragen Kappen gegen die Hitze.
  • 1. Die Sportler beginnen das Training.
    2. Eine der Frauen ist zum ersten Mal dabei.

In der Studie wurde die Zeit gemessen, bis die Probanden und Probandinnen „Ja“ antwortet. Die Reaktionszeit war immer dann verlängert, wenn im zweiten Satz „Frauen“ und nicht „Männer“ auf das generische Maskulinum folgte.

Auch bei Kindern zeigt sich, dass sie sich nicht gleichermaßen durch das generische Maskulinum angesprochen fühlen. Dries Vervecken und Bettina Hannover stellten in ihrer Studie von 2015 fest, dass sich Kinder eher zutrauen einen stereotyp männlichen Beruf zu ergreifen, wenn sowohl die weibliche als auch die männliche Form genannt wird (z. B. Ingenieurinnen und Ingenieure).

Gendern ist nicht gleich gendern

Gendern hat also eindeutig einen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und kann darüber hinaus auch zur Gleichberechtigung beitragen. Kurz: Es lohnt sich also! In den genannten Studien wurde jedoch stets die sogenannte Feminisierung untersucht. Diese Möglichkeiten zu gendern, gibt es derzeit:

  • Feminisierung: Lehrerinnen und Lehrer
  • Neutralisierung: Lehrkräfte (es gibt nicht immer eine neutrale Form)
  • Sonderzeichen: Lehrer*innen, Lehrer:innen, LehrerInnen …

Letztere Version ist zwar noch unzureichend erforscht, jedoch hat sie einen entscheidenden Vorteil: Schließlich ist die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes festgelegt, gleichzeitig ist es spätestens seit der Änderung des Personenstandsgesetzes 2018 erstrebenswert auch eine dritte Option („divers“) mit einzubeziehen. Die Sonderzeichen schaffen diese dritte Option und machen dadurch Platz für Menschen, die sich nicht dem binären Geschlechtersystem zugehörig fühlen.

Das spricht gegen Gendern

Bisher (Stand April 2024) gibt es keine wissenschaftlichen Argumente, die gegen die Verwendung von geschlechtergerechter Sprache sprechen. Trotzdem wird das Thema immer noch heiß diskutiert. Das liegt unter anderem an diesen Faktoren:

  • Sprachwandel
    Was für Linguistinnen und Linguisten Normalität ist, irritiert uns im Alltag oft. Besonders wenn wir den Wandel als aktive Diskussion erleben1. Deshalb kommen uns Wortneuheiten wie „Goofy“, „Sideeye“ oder eben „Lehrer:innen“ seltsam vor und sorgen teils für Unmut.
  • Rechtschreibung
    Tatsächlich wird bisher nur der Bindestrich innerhalb von Wörtern verwendet (z. B. „das Ost-West-Gefälle). Die Binnensonderzeichen, die fürs Gendern verwendet werden, entsprechen somit nicht der Rechtschreibung.
  • Aussprache
    Auch dieses Argument bezieht sich primär auf die Version mit Sonderzeichen. Hier kommt der sogenannte Glottisschlag zum Einsatz. Dieser sorgt für einen kurzen Stopp zwischen Silben. Schwierig auszusprechen? Tatsächlich kommt der Glottisschlag in vielen deutschen Wörtern vor, wie zum Beispiel beim „Spiegel-ei“. In seiner Anwendung zum Gendern ist der Glottisschlag meist schlicht ungewohnt.

Und was machen jetzt die Bayern?

Sowohl Bayern als auch Hessen beziehen sich auf die Empfehlung des Rats für deutsche Rechtschreibung von 15.12.2023. Darin heißt es: „Der Rat hat […] die Aufnahme von Asterisk („Gender-Stern“), Unterstrich („Gender-Gap“), Doppelpunkt oder anderen Sonderzeichen im Wortinnern, die die Kennzeichnung aller Geschlechtsidentitäten vermitteln sollen, in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung nicht empfohlen.“

Die beiden Bundesländer verbieten daher keineswegs das Gendern im Allgemeinen, sondern lediglich eine spezielle Form, nämlich das Gendern mit Sonderzeichen. Stattdessen sollen jeweils die weibliche und männliche Form oder ein geschlechtsneutraler Begriff verwendet werden.

Innenminister Joachim Herrmann äußerte sich dazu wie folgt:

Rechts- und Verwaltungsvorschriften sollen so formuliert werden, dass sie jedes Geschlecht in gleicher Weise ansprechen, etwa durch Paarformeln oder geschlechtsneutrale Formulierungen. Dabei ist jedoch jede sprachliche Künstlichkeit oder spracherzieherische Tendenz zu vermeiden.

Fazit

Wo eine „spracherzieherische Tendenz“ anfängt bzw. aufhört, bleibt diskutabel. Letztendlich kann jede Rechtschreibregel als Form von Spracherziehung interpretiert werden. Indiskutabel sind jedoch die Vorteile der gendergerechten Sprache, denn sie animiert dazu Geschlechterstereotype zu überdenken und trägt positiv zur Gleichberechtigung bei – und das zeigt sich schon bei Kindern. Die Variante mit Sonderzeichen sorgt gesellschaftlich für ordentlich Furore, dabei ist sie derzeit die einzige Variante, die über das binäre Geschlechtersystem hinaus geht. Doch auch wer durch Feminisierung oder Neutralisierung gendert, macht schon einen ordentlichen Schritt nach vorne.

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist jedoch auch klar: Wenn gendern in der Gesellschaft auf Zustimmung stößt, wird es sich ohnehin durchsetzen – ob durch Feminisierung oder Sonderzeichen. Denn Sprache ist kein starres Konstrukt. Sprache verändert sich mit den Bedürfnissen ihrer Zeit.

1 Beispielsweise war die Anzahl neuer Wörter und Wortkombinationen während der Corona-Pandemie enorm hoch, die Gegenwehr jedoch deutlich niedriger.

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