Am 9. Juni ist Europawahl. Dann wird das Parlament von den EU-Bürgerinnen und –bürgern neu gewählt und damit die politische Zukunft Europas mitentschieden. Menschen, die nicht oder nicht gut lesen können, haben es deutlich schwerer, sich Informationen zur Wahl zu beschaffen und gehen nicht einmal halb so oft zur Wahl, wie es gut lesende Menschen tun.
Europaweit sinkt das Interesse an Wahlen zuletzt und überall sind Populisten auf dem Vormarsch. Eine hohe Wahlbeteiligung ist also besonders wichtig. Damit Bürgerinnen und Bürger sich im Vorfeld über die Parteien und ihre Wahlprogramme informieren können, gibt es viele Angebote. Aber was bringen diese, wenn Informationen nicht gelesen werden können? Menschen, die nicht oder nicht gut lesen können, haben es nicht nur deutlich schwerer, sich Informationen zu beschaffen – sie gehen auch nicht einmal halb so oft zur Wahl, wie es gut lesende Menschen tun. Das betrifft heute schon die Informationskraft und Wahlbeteiligung von etwa 6,2 Millionen deutschsprechenden Erwachsenen – mit Auswirkungen auf viele weitere Generationen, wie Studien zeigen.
Wer nicht ausreichend gut lesen kann, geht deutlich seltener wählen, unterhält sich seltener im eigenen Umfeld über Politik und glaubt auch seltener daran, aus eigener Kraft etwas am eigenen Leben verändern zu können. Das zeigen uns die Ergebnisse von Studien wie LEO 2018 und MOVE 2022 deutlich. Das ist nicht nur für Betroffene eine enorme Einschränkung, sondern vor allem politisch und gesellschaftlich ein massives Problem – denn aktuell ist ein großer Teil der Bevölkerung von politischem Handeln ausgeschlossen. Doch gerade in einer vielseitigen Gesellschaft wie unserer ist es wichtig, die Menschen zu hören, die Entscheider nicht immer vor Augen haben. Politik und Gesellschaft müssen verstehen, dass eine gute Lesefähigkeit nicht nur ermöglicht ein Buch aufzuschlagen, sondern ein zentraler Hebel dafür ist, ein eigenständiges und verantwortliches Leben zu führen – für die eigene Person, die nachfolgenden Generationen und die Gesellschaft. Leseförderung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die an Eltern, pädagogische Fachkräfte und uns alle gestellt ist. Indem wir uns freiwillig für das Lesen engagieren – z. B. beim Vorlesen – unterstützen wir Kinder nicht nur kurzfristig, sondern erfüllen auch langfristig eine wichtige demokratische Aufgabe.
Simone Ehmig, Leiterin Institut für Lese- und Medienforschung
Zahlen und Fakten
- Erwachsene mit geringen Lesekompetenzen beteiligen sich seltener politisch (39 %) als Erwachsene mit ausreichenden Lesefähigkeiten (88 %) (Quelle: Leo 2018)
- Erwachsene mit geringen Lesekompetenzen tauschen sich seltener mit ihrem privaten Umfeld über das politische Geschehen aus (35 %) als Erwachsene mit ausreichenden Lesefähigkeiten (61 %; Quelle: Leo 2018)
- Erwachsene, die nicht gut lesen können, engagieren sich signifikant seltener freiwillig als Personen, die über eine gute Lesefähigkeit verfügen (11 % der gering literalisierten Erwachsenen gegenüber 35 % derjenigen mit ausreichender / guter Schriftsprachkompetenz. Quelle: Leo 2018)
- Der Anteil der Eltern, die nicht oder selten vorlesen, ist unter Vätern und Müttern mit formal niedriger Bildung überdurchschnittlich hoch (53 % vs. 37 % im Durchschnitt aller Eltern mit 1-8-jährigen Kindern; Quelle: Vorlesemonitor 2023)
Wie kann ich mich engagieren?
Die Grundlage dafür, um selbst gut lesen zu lernen, ist das Vorlesen. Genau das passiert in Haushalten mit gering literalisierten Menschen jedoch selten bis gar nicht, sodass sich Bildungslebensläufe langfristig wiederholen. Genau hier kann die Gesellschaft einspringen und pädagogische Fachkräfte unterstützen und etwa als freiwillig Engagierte oder Engagierter vorlesen oder beim Lesenlernen unterstützen. Im Engagementportal der Stiftung Lesen finden Interessierte alle Informationen darüber, was es benötigt, um sich zu engagieren, gibt Ideen und stellt Adressen bereit, an die sich Interessierte wenden können: www.stiftunglesen.de/engagement.