04.07.2024 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Klassik Stiftung Weimar.
Damit erproben sie zugleich Möglichkeiten für eine längerfristige Kooperation öffentlich geförderter Kulturinstitutionen im Bereich der Mengenrestaurierung von Kulturgut.
Archive und Bibliotheken überliefern Bestände, die aufgrund schwerster Schäden wie Brand-, Wasser- oder Säureschäden nicht im Original genutzt und auch nicht digitalisiert werden können. Sie sind damit für die Öffentlichkeit unzugänglich. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar und das Fachgebiet Konservierung und Restaurierung von Schriftgut, Buch und Grafik der HAWK verfügen durch ihre langjährige Zusammenarbeit über Erfahrungen bei der Anwendung und Entwicklung von Mengenverfahren in der Restaurierung von schwerstgeschädigtem Bibliotheksgut. Sie sollen im Rahmen der Kooperation mit dem Bundesarchiv eingesetzt und erweitert werden. Dabei kommen innovative Verfahren aus der Celluloseforschung und Multispektraldigitalisierung zum Einsatz. Als erstes Konvolut für ein Pilotprojekt der drei Institutionen wurden neun Objekte aus dem Bundesarchiv-Bestand R 8150 der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland ausgewählt, die restauriert und wieder nutzbar gemacht werden sollen. Die Dokumente der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland sind für die Forschung und die Öffentlichkeit von großer Bedeutung.
„Archivgut im Original zu erhalten, ist eines unserer zentralen Ziele. Mit diesem Pilotprojekt wollen wir ein Zeichen für die verstärkte Zusammenarbeit von Kulturerbe-Einrichtungen beim Erhalt unseres kulturellen Erbes setzen. Es geht uns darum, innovative Verfahren zu entwickeln, die später auch für andere anwendbar sind. Wir beginnen mit Dokumenten der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, einem zentralen Bestand für die Dokumentation der Verfolgung und Ermordung der deutschen Juden. Durch die restauratorische Bearbeitung werden diese Dokumente für künftige Generationen bewahrt und zugänglich gemacht“, sagt Prof. Dr. Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs.
Die Reichsvereinigung wurde 1939 durch den NS-Staat eingerichtet. Alle Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden galten, wurden zwangsweise Mitglied. Damit diente sie den Machthabenden zur Kontrolle der in Deutschland verbliebenen Jüdinnen und Juden und als Instrument, um große Teile der Vermögen der Emigrant*innen beschlagnahmen zu können. Ab 1941 nutzte die Gestapo die Mitgliederkarteien der Reichsvereinigung für die Deportationen in Konzentrations- und Vernichtungslager. Dennoch konnte die Reichsvereinigung bis 1941 auch Jüdinnen und Juden bei der Flucht aus Deutschland unterstützen.
Ein Teil dieses Bestandes ist in einem konservatorisch schlechten Zustand und daher aktuell nicht benutzbar. Bisher gab es keine technischen Verfahren, um einen Bestand dieser Größenordnung zu restaurieren. Im Rahmen des Pilotprojekts soll ein Transfer der bereits bestehenden Mengenverfahren für fragiles Bibliotheksgut auf schwer geschädigtes Archivgut getestet und damit deren Anwendungsspektrum erweitert werden. Dafür stehen folgende Forschungs- und Entwicklungsinhalte im Mittelpunkt:
"Nach dem Brand der Weimarer Bibliothek im Jahr 2004 setzte die Klassik Stiftung neue Techniken der Papierrestaurierung ein, die nur im Verbund mit Partnerinstitutionen weiterentwickelt werden können. Die Kooperation mit dem Bundesarchiv und der Hochschule in Hildesheim geht neue Wege", erläutert Dr. Reinhard Laube, Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek.
Der Transfer wird durch einen interdisziplinären Workflow zwischen den drei kooperierenden Einrichtungen realisiert. Die drei Institutionen profitieren vom fachlichen Ausbau ihrer Strukturen und Methoden. Zudem loten sie gemeinsam aus, wie diese zukünftig verstetigt werden können.
Dr. Marc Hudy, Präsident der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen erklärt: „Dieses Kooperationsprojekt ist auch für uns als Hochschule von besonderer Bedeutung, da es in doppelter Hinsicht wichtige Transferleistungen erbringt: Es ermöglicht den Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse unter den Kooperationspartnern und den Transfer der Inhalte in die Gesellschaft. Derzeit ist es nicht hoch genug einzuschätzen, diese historischen Inhalte der Öffentlichkeit zugänglich und bekannt zu machen.“
Das Projekt startete Anfang 2024 und ist heute in der Thüringischen Landesvertretung in Berlin durch die drei Kooperationspartner*innen vorgestellt worden. Dazu sagt Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Thüringer Kulturminister und Beauftragter für jüdisches Leben in Thüringen: „Nur durch die Zusammenarbeit von Institutionen des Kulturguterhalts mit Forschung und Entwicklung sind Innovationen möglich, werden Potenziale eines Netzwerks aktiviert und große Herausforderungen gemeistert. Mit neuen Restaurierungstechniken und geteilter Verantwortung für die Lösung von Bestandserhaltungsproblemen macht das Bundesarchiv erstmals Unterlagen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zugänglich – mit technischen Innovationen aus Thüringen, Forschung aus Hildesheim und der restauratorischen und inhaltlichen Expertise des Bundesarchivs. So kann ein weiteres Kapitel der institutionalisierten Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen und Juden in Deutschland erforscht werden.“
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