16.08.2022 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: DIW Berlin.
Mit dem Bürgergeld möchte die Bundesregierung das Hartz-IV-System weiterentwickeln. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vorvergangene Woche präsentiert. Eine Befragung von Langzeitarbeitslosen in Nordrhein-Westfalen zeigt nun, dass Hartz-IV-Beziehende viele der Reformaspekte mehrheitlich positiv bewerten. Dazu zählen etwa höhere Transferleistungen und Schonvermögen sowie bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten. Es gibt aber auch Skepsis gegenüber Teilen der Reformpläne, etwa einem grundsätzlichen Verzicht auf Sanktionen. Die Befragung hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) gemeinsam mit der Ruhr-Universität Bochum im Frühjahr 2022 im Auftrag der Jobcenter Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Ennepe-Ruhr-Kreis, Oberhausen und Recklinghausen an selbigen durchgeführt. Die acht Jobcenter sind für rund 29 Prozent aller in Nordrhein-Westfalen registrierten Langzeitarbeitslosen zuständig, bezogen auf Deutschland sind es rund zehn Prozent aller Langzeitarbeitslosen.
„Viele Langzeitarbeitslose hadern mit dem bisherigen Grundsicherungssystem“, sagt Jürgen Schupp, Senior Research Fellow im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des DIW Berlin, der die Befragung gemeinsam mit Fabian Beckmann und Rolf G. Heinze von der Ruhr-Universität Bochum und Dominik Schad vom Jobcenter Recklinghausen ausgewertet hat. „Die geplante Reform, die das System unter anderem entbürokratisieren und das Verhältnis von Fördern und Fordern neu austarieren soll, beinhaltet überwiegend sinnvolle Aspekte – einige Punkte sind aber noch vage und unklar“, so Schupp. In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Ampelregierung unter anderem darauf verständigt, das Schonvermögen zu erhöhen, die Wohnung der Leistungsbeziehenden zumindest in den ersten beiden Jahren des Leistungsbezugs unabhängig von der Größe als angemessen anzuerkennen und die Hinzuverdienstmöglichkeiten zu verbessern. Koalitionsintern umstritten sind unter anderem höhere Regelsätze und ein dauerhafter Verzicht auf Sanktionen, die aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts derzeit vorübergehend abgemildert und teilweise sogar ganz ausgesetzt sind.
Auch unter den Langzeitarbeitslosen ist das Meinungsbild mit Blick auf die Sanktionen gespalten: Einen grundsätzlichen Verzicht auf diese findet mit 53 Prozent gut die Hälfte der Befragten „sehr gut“ oder „eher gut“. Die andere Hälfte ist unentschieden oder dagegen. Zum Vergleich: Eine Erhöhung des Regelsatzes befürworten 89 Prozent der befragten Leistungsbeziehenden, 74 Prozent sind für bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten. „Gerade die im Vergleich geringe Zustimmungsrate zu einer dauerhaften Aussetzung von Sanktionen deutet an, dass Langzeitarbeitslose hinsichtlich ihrer Wert- und Gerechtigkeitsorientierungen keine homogene Gruppe sind“, sagt Rolf G. Heinze von der Ruhr-Universität Bochum. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass 65 Prozent der befragten Langzeitarbeitslosen „voll und ganz“ oder „eher“ der Meinung sind, dass viele Hartz-IV-Beziehende das System ausnutzen würden. 42 Prozent stimmen zudem „voll und ganz“ oder „eher“ der Aussage zu, dass sie sich für den Bezug von Hartz IV schämen.
Viele Langzeitarbeitslose hadern mit dem bisherigen Grundsicherungssystem. Die geplante Reform beinhaltet überwiegend sinnvolle Aspekte – einige Punkte sind aber noch vage und unklar. - Jürgen Schupp
Im Rahmen der Befragung gaben die Langzeitarbeitslosen auch Auskunft darüber, wie sie ihre Zeit verbringen. Eine zentrale Erkenntnis: Mit 41 Prozent engagiert sich ein relevanter Anteil ehrenamtlich oder ist in der Nachbarschaftshilfe aktiv. 35 Prozent übernehmen – meist in der Schattenwirtschaft – kleinere Jobs und verdienen sich etwas hinzu. Hier sehen die Studienautoren einen Hebel, um die soziale Teilhabe von Langzeitarbeitslosen zu verbessern. „Längst nicht alle haben – sei es aus gesundheitlichen oder anderen Gründen – die Chance, langfristig wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“, so Schupp. „Viele wollen aber etwas tun und sich engagieren. Ihnen könnten die Jobcenter beispielsweise durch gezielte Angebote und höhere anrechnungsfreie Aufwandsentschädigungen entgegenkommen.“ Mit Blick auf die Frage nach dem Sanktionsverzicht sollte die Politik prüfen, ob dieser als wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt in ausgewählten Jobcentern fortgeführt werden kann, um belastbare Erkenntnisse zu den Folgen zu erhalten.
Bild: Bru-nO (Pixabay, Pixabay License)