22.06.2021 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
Chancen und Risiken sortieren sich derzeit neu.
Viele immobilienwirtschaftliche Entwicklungen, wie wir sie aus den Jahren 2010 bis 2020 kennen, sind damit zu einem Ende gekommen und werden durch eine Vielzahl neuer Wirklichkeiten abgelöst. Wer diese neuen Wirklichkeiten nicht frühzeitig erkennt und darauf professionell vorausschauend reagiert, wird Werteinbußen hinnehmen müssen.
Die KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und die IREBS Immobilienakademie an der Universität Regensburg haben sich den Fragen hinter den neuen Entwicklungen gestellt und vier zentrale Themenbereiche identifiziert, bei denen akuter Handlungsdruck besteht:
Die ökologische Transformation wird nur als nationaler Kraftakt gelingen. Schon heute kollidiert das ökologisch Notwendige immer öfter mit dem volks- und betriebswirtschaftlich Machbaren. Fehlende Kapazitäten am Bau, schleppende Materialbeschaffung, Kostensteigerungen und teils mangelnde ökonomische Realisierbarkeit stehen ökologisch dringend notwendigen Sanierungen entgegen. Zugleich wächst der Druck seitens der Investoren und Mieter auf die Eigentümer, nachhaltige Gebäudewelten zur Verfügung zu stellen. Dies kann aber nicht nur durch Neubau, sondern muss durch die ökologische Aufrüstung des Bestandes gelingen.
Technische Professionalität, vorausschauende Planung von Liquidität und frühzeitige Sicherstellung von ausreichender Kapazität werden zu den zentralen Treibern eines erfolgreichen Portfolio- und Asset Managements in dieser Dekade. Aber eine wichtige ökonomische Wahrheit muss in diesem Zusammenhang ausgesprochen werden: Ohne Einbußen in der Rendite wird die ökologische Sicherung des Bestandes vielfach nicht funktionieren, da die notwendigen Investitionen in die Immobilien häufig nicht durch entsprechende Mietsteigerungen abgefedert werden können.
Dr. Hans Volkert Volckens
Head of Real Estate und Asset Management bei KPMG
Was die Wertentwicklung betrifft, waren die Assetklassen von der COVID-19 Pandemie sehr uneinheitlich betroffen. Während Investoren bei Hotel-, Einzelhandels- und Büroimmobilien deutliche Zurückhaltung übten, zogen die Preise für Wohn- und Logistikimmobilien sowie für Gesundheitsimmobilien weiter an. Zum Teil beschleunigte sich hier sogar die Entwicklung gegenüber den Vorjahren. Dies hat auch der Sorge vor einer spekulativen Übertreibung neue Nahrung gegeben.
Anleger suchen nach Halt. Diesen versprechen Immobilien weiterhin. Die einfache Faustformel, dass es vor allem auf den Wohnungsmärkten der Metropolen Verspannungen gäbe, beschreibt die Entwicklung nicht mehr ausreichend. Das Bild ist komplexer geworden: Gerade in den Umlandgemeinden stiegen Preise beschleunigt, und vielfach entsteht dort auch deutlich mehr Wohnraum. Dies spricht für eine Marktberuhigung in absehbarer Zeit, nicht aber für eine Blase.
Prof. Dr. Tobias Just
Professor an der Universität Regensburg, IREBS
Gerade bei Nischensegmenten sollten Investoren umsichtiger agieren, da Nischen naturgemäß empfindsam auf Kapitalumschichtungen und Angebotsausweitungen reagieren. Zu Recht schätzen Investoren z.B. Logistikimmobilien als systemrelevant ein, doch dabei darf nicht vergessen werden, dass das Transaktionsvolumen von Logistikimmobilien auch 2020 nur knapp 30% des Transaktionsvolumens von Büroimmobilien erreicht hat.
Laut Hans Volckens „geht die Diskussion um die Auswirkungen des dezentralen Arbeitens an den tatsächlichen Risiken des Büroimmobilienmarktes vorbei.“ Denn nach Einschätzung der KPMG Real Estate und der IREBS wird die Netto-Flächennachfrage aufgrund verstärkter Arbeit außerhalb des Büros moderat zurückgehen, in der Größenordnung von 10%. Sinkender Flächenbedarf durch vermehrtes dezentrales Arbeiten wird durch die zunehmende Auflösung von Großraumbüros und weiteren Flächenbedarf für die verbesserte Interaktion und Kollaboration sowie Edukation zumindest teilkompensiert werden. Die Intensität der Debatte um das sog. „Homeoffice“ wird ihrer ökonomischen Relevanz somit nicht gerecht.
Erstaunlich ist dagegen, dass Immobilienprofis dem demographischen Faktor in seiner mittelfristigen Wirkung so wenig Bedeutung beimessen. Denn über die kommenden Jahre erreichen viele geburtenstarke Jahrgänge das Rentenalter, ohne dass ausreichend junge Menschen in das Erwerbsleben eintreten. Ab 2025 wird der Effekt der in Rente gehenden Babyboomer den Arbeitsmarkt mit voller Wucht treffen. Trotz einer erwarteten Nettozuwanderung wird die Zahl der Erwerbstätigen laut Statistischem Bundesamt bis 2035 um über 4 Mio. Erwerbstätige sinken (Annahme: moderate Entwicklung der Varianten Geburten, Lebenserwartung und Wanderungssaldo1).
Eine Aktivierung des Arbeitsmarktes, wie in den letzten 10 Jahren, ist in diesem Ausmaß nicht mehr möglich. Zudem werden Unternehmen versuchen, die sich zwangsläufig verteuernde Büroarbeit durch eine höhere Flächenproduktivität zu kompensieren. Folge dieser Entwicklungen wird die Reduzierung der Netto-Gesamtflächennachfrage sein. Mittel- und Oberzentren werden in einen Wettbewerb um Mieter eintreten müssen, um Belegungszahlen hochzuhalten. Die heutigen Urbanisierungsgewinner dürften dabei auch die Gewinner von morgen sein. Die Spreizung der Büromärkte wird als Folge erheblich zunehmen.
Akteure in der Immobilienwirtschaft schöpfen zunehmend die Potenziale der Digitalisierung zur Reduktion von Kosten und Erhöhung der Transparenz. Die Digitalisierung zwingt aber zusätzlich dazu, dass die Immobilienwirtschaft stärker die veränderten Geschäftsmodelle der Nutzer in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen muss. Auch dies wird Auswirkungen auf die Büroflächennachfrage haben.
Die Städte werden sich im Zuge der COVID-19-Pandemie verändern. Tobias Just: „Es geht weniger um eine Anpassung, um für künftige Pandemien vorbereitet zu sein als vielmehr darum, dass sich Strukturveränderungen in den Städten im Zuge der COVID-19-Pandemie beschleunigt haben, die höchstwahrscheinlich auch ohne Pandemie erfolgt wären, nur eben verlangsamt.“ Für Städte – und damit auch für Immobilieninvestoren – wächst so der Handlungsdruck. Gleichzeitig entstehen Chancen, wieder stärker gemischte Stadtstrukturen zu erzielen, bei denen die Trennung der Assetklassen, die letztlich Ausdruck von Industrialisierungsprozessen war, rückabgewickelt wird. Für die Bewohner der Städte könnten dadurch lebensfreundlichere Städte entstehen, bei denen Wohnnutzungen, Erlebnisflächen und gemischte Nutzungen inklusive von Gemeinschaftsflächen gestärkt würden. Voraussetzung ist aber eine hohe Veränderungsbereitschaft bei Eigentümern, Nutzern sowie der öffentlichen Hand. Auch hier könnte die COVID-19-Pandemie katalytisch gewirkt haben.
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