13.11.2023 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
Ebenfalls stark zurückgegangen ist die Spanne der Inflationsbelastung zwischen verschiedenen Haushaltstypen, die sich nach Einkommen und Personenzahl unterscheiden. Der Unterschied zwischen der höchsten und der niedrigsten haushaltsspezifischen Rate betrug im Oktober 2023 0,6 Prozentpunkte, während es 3,1 Prozentpunkte ein Jahr zuvor waren. Nach September 2023 zum zweiten Mal seit Beginn der drastischen Teuerungswelle waren dabei ärmere Haushalte, unabhängig von ihrer Größe, nicht mehr am oberen Rand der haushaltsspezifischen Inflationsraten zu verorten, sondern nun im unteren Bereich. Familien mit niedrigen Einkommen hatten im Oktober eine Inflationsrate von 3,0 Prozent zu tragen, bei Alleinlebenden mit niedrigen Einkommen waren es 3,2 Prozent. Da ärmere Singles und ärmere Familien über den größeren Teil des Jahres 2023 mit zum Teil deutlich überdurchschnittlichen Teuerungsraten konfrontiert waren, dürfte trotzdem auch ihre Jahresrate vergleichsweise hoch ausfallen. Und wenn, wie aktuell von der Bundesregierung geplant, die Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme schon ab Januar statt ab April 2024 wieder auf 19 Prozent steigt, würde das Haushalte mit niedrigen Einkommen überproportional betreffen. Da Haushaltsenergie bei ihren monatlichen Ausgaben eine relativ große Rolle spielt, „öffnet sich dann die soziale Schere wieder“, schreiben Dr. Silke Tober und Prof. Dr. Sebastian Dullien im neuen IMK Inflationsmonitor, den das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung vorlegt.
Die Inflationsexpertin und der wissenschaftliche Direktor des IMK berechnen seit Anfang 2022 jeden Monat spezifische Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Zahl und Alter der Mitglieder sowie nach dem Einkommen unterscheiden.
Ärmere Haushalte waren während der aktuellen Teuerungswelle bis in den Herbst hinein besonders stark durch die Inflation belastet, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Güter des Grundbedarfs wie Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben müssen. Diese waren die stärksten Preistreiber. Im Laufe der letzten Monate hat die Preisdynamik dort aber nachgelassen, so dass sich die einkommensspezifischen Differenzen seit dem Höhepunkt im Oktober 2022 stark verändert haben. Damals hatten Familien mit niedrigen Einkommen die höchste Inflationsrate im Haushaltsvergleich mit 11,0 Prozent. Dagegen waren es bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen 7,9 Prozent. Doch auch wenn die Inflationsraten seitdem stark gesunken sind und die Werte für die verschiedenen Haushalte sich angenähert haben, wird das Problem steigender Preise vor allem für Menschen mit niedrigen Einkommen dadurch verschärft, dass viele nur geringe finanzielle Rücklagen haben und die Alltagsgüter, die sie vor allem kaufen, kaum zu ersetzen sind.
Dass die allgemeine Inflationsrate von September auf Oktober um 0,7 Prozentpunkte zurückgegangen ist, liegt unter anderem daran, dass die Energiepreise geringfügig niedriger lagen. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Preise für Haushaltsenergie kaum gestiegen sind und die Kraftstoffpreise deutlich geringer ausfielen. Zudem verteuerten sich Lebensmittel zwar noch einmal um gut sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr, das stellt aber eine deutliche Verlangsamung gegenüber den Monaten zuvor dar. Auch bei den übrigen untersuchten Haushaltstypen wirkte sich die nachlassende Preisdynamik im Grundbedarf aus, allerdings weniger stark als bei den ärmeren: So betrug die Preissteigerung bei Familien mit hohen Einkommen im Oktober 3,6 Prozent, bei Paaren ohne Kinder mit mittleren Einkommen 3,5 Prozent und bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen 3,4 Prozent. Familien mit mittleren Einkommen sowie Singles mit höheren Einkommen verzeichneten Teuerungsraten von jeweils 3,3 Prozent. Bei Alleinlebenden und bei Alleinerziehenden mit jeweils mittleren Einkommen schlug die Inflation mit je 3,2 Prozent zu Buche. Dass aktuell die spezifischen Inflationsraten der einzelnen Haushaltstypen etwas unter der allgemeinen Rate liegen, beruht darauf, dass das IMK bei der Gewichtung der Warenkörbe die repräsentative Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) heranzieht, während das Statistische Bundesamt seit Jahresanfang auf die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zurückgreift.
Für die kommenden Monate erwarten Tober und Dullien einen weiteren Rückgang der Inflationsrate, wobei der Dezember wegen der staatlichen Abschlagsübernahme für Erdgas- und Fernwärme-Haushalte im Vorjahr einen Ausreißer darstellen wird. Die Fachleute des IMK rechnen auch mit einer sinkenden Kerninflation, weil die niedrigeren Energie- und Rohstoffpreise mit einigem Zeitverzug über die Produktionsketten hinweg auch bei den Endkund*innen ankommen. Zudem wirke die Auflösung von Lieferengpässen dämpfend. Die sinkende Tendenz bei der Teuerung dürfte sich zunächst abschwächen, analysieren die Fachleute. Bremsend wirkten zum Jahresanfang die Normalisierung des Mehrwertsteuersatzes auf Speisen in Gaststätten sowie die Anhebung des CO2-Preises. Sollte die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer bei Gas und Fernwärme tatsächlich ebenfalls auf Januar vorgezogen werden, würde allein deswegen die Inflationsrate zwischen Januar und März um 0,2 Prozentpunkte höher ausfallen. All das dürfte den Trend zu niedrigeren Teuerungsraten aber nicht drehen, betonen Tober und Dullien, zumal die hohen Preissteigerungen der Vergangenheit sukzessive aus der Inflationsberechnung fallen. Unter dem Strich dürfte sich 2024 die Inflationsrate „dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent deutlich annähern“, schreiben sie.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der wirtschaftlichen Schwäche im Euroraum und insbesondere in Deutschland „war es höchste Zeit, dass die EZB ihren Zinserhöhungszyklus beendet hat“, so die IMK-Fachleute. Die „Normalisierung“ der Geldpolitik im vergangenen Jahr sei bei Aufwärtsrisiken für die Inflation und den damals noch recht positiven Wirtschaftsaussichten angebracht gewesen. Seitdem habe die EZB aber überzogen agiert: „Da die Zweitrundeneffekte durch erhöhte Lohnsteigerungen überschaubar bleiben, war die deutliche geldpolitische Restriktion zur Inflationsbekämpfung nicht nur unnötig, sondern riskiert eine Verzögerung der klimapolitisch erforderlichen Investitionen und ein erneutes Unterschreiten des Inflationsziels wie in den fünf Jahren vor der Pandemie.“
Für den IMK Inflationsmonitor werden auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts die für unterschiedliche Haushalte typischen Konsummuster ermittelt. So lässt sich gewichten, wer für zahlreiche verschiedene Güter und Dienstleistungen – von Lebensmitteln über Mieten, Energie und Kleidung bis hin zu Kulturveranstaltungen und Pauschalreisen – wie viel ausgibt und daraus die haushaltsspezifische Preisentwicklung errechnen. Die Daten zu den Haushaltseinkommen stammen ebenfalls aus der EVS. Im Inflationsmonitor werden neun repräsentative Haushaltstypen betrachtet: Paarhaushalte mit zwei Kindern und niedrigem (2000-2600 Euro), mittlerem (3600-5000 Euro), höherem (mehr als 5000 Euro) monatlichem Haushaltsnettoeinkommen; Haushalte von Alleinerziehenden mit einem Kind und mittlerem (2000-2600 Euro) Nettoeinkommen; Singlehaushalte mit niedrigem (unter 900 Euro), mittlerem (1500-2000 Euro), höherem (2000-2600 Euro) und hohem (mehr als 5000 Euro) Haushaltsnettoeinkommen sowie Paarhaushalte ohne Kinder mit mittlerem Haushaltsnettoeinkommen zwischen 3600 und 5000 Euro monatlich. Der IMK Inflationsmonitor wird monatlich aktualisiert.
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