19.08.2021 — Rolf Becker. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
In der Sache stritten zwei im Wettbewerb stehende Unternehmen. Diese vertreiben landwirtschaftliche Erzeugnisse als Werbeartikel. Darunter befinden sich auch in einem kleinen Anteil am Gesamtsortiment ökologische/biologische Erzeugnisse mit der Bezeichnung "Bio". Der klagende Wettbewerber rügte in der Abmahnung und dem anschließenden Verfügungsverfahren das Fehlen einer europarechtlichen Zertifizierung zum Vertrieb von "Bio"-Produkten nach den Artikeln 25 und 27 VO(EG) Nr. 834/2007 zu drei Artikeln.
Der Abmahnung war der Entwurf einer Unterlassungserklärung beigefügt. Danach hätte sich die Beklagte verpflichtet,
„für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Ausschluss der Handlungseinheit eine Vertragsstrafe von 10.000 € an die Verfügungsklägerin zu zahlen. Ferner hätte die Verfügungsbeklagte "... die Kosten der anwaltlichen Abmahnung aus einem Gegenstandswert von 100.000,00 €, nämlich einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VVRVG zuzüglich Auslangepauschale, zu erstatten.“
Das LG Osnabrück erließ zunächst eine Einstweilige Verfügung, die es jedoch nach Widerspruch der beklagten Partei wieder wegen Rechtsmissbrauch aufhob (LG Osnabrück, Urt. v. 23.07.2021, Az. 14 O 366/20, nicht rechtskräftig).
Die Beklagte hatte gerügt, es gehe in der Sache nur um „Gebührenschinderei“. Die Abmahnung sei missbräuchlich erfolgt. Es sei schlicht so gewesen, dass ihr das Erfordernis der Zertifizierung nicht bekannt gewesen sei.
Das Gericht folgte nach Widerspruch im Ergebnis dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs. Dazu zog es allerdings verschiedene Aspekte heran, die insbesondere deshalb interessant sind, weil das aktuelle Urteil unter Geltung der neuen Bestimmungen gegen Abmahnmissbrauch erging, die seit Dezember 2020 im Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs erlassen wurden. Der neue § 8c Abs. 1 UWG lautet:
„Die Geltendmachung der Ansprüche aus § 8 Absatz 1 ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist.“
Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen ist regelmäßig anzunehmen, wenn die vollständige Betrachtung der gesamten Umstände ergibt, dass der Antragsteller mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt. Zudem werden in § 8c Abs. 2 UWG Leitlinien aufgeführt, die Prüfpunkte und Regelbeispiele enthalten, bei denen eine Rechtsmissbräuchlichkeit in Betracht kommt.
Nach § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG kann es für Rechtsmissbrauch sprechen, wenn eine erhebliche Anzahl gleichartiger Verstöße durch Abmahnungen geltend gemacht werden. Es geht also um Massenabmahnungen. Das LG Osnabrück vermisste vor diesem Hintergrund die proaktive Offenlegung des Antragstellers zu anderen Abmahnungen, die dieser in vergleichbarer Sache in 51 anderen Fällen ausgesprochen hatte.
„Dadurch, dass die Verfügungsklägerin diesen Umstand nicht von sich aus mitteilte, sondern dass er in das vorliegende Verfahren durch den Vortrag der Verfügungsbeklagten eingeführt werden musste, wird ersichtlich, dass die Kammer bei Erlass der einstweiligen Verfügung über einen wesentlichen Punkt im Unklaren gelassen worden ist. Es gehört jedenfalls seit Einführung des § 8c UWG zum vollständigen Vortrag eines Antragstellers, die Mitteilung zu machen, ob weitere vergleichbare Abmahnungen in einem zeitlichen Zusammenhang erfolgt sind.“
Diese Ansicht kann allerdings nicht als gesichert angesehen werden. Das OLG Frankfurt (6 W 23/21) und auch das OLG Bamberg (3W 4121) haben in gleichen Fällen der gleichen Partei anders bewertet und keinen Rechtsmissbrauch angenommen.
Das Gericht war auch der Meinung, der Gegenstandswert von 100.000 Euro für die Abmahnung sei übersetzt und sah selbst nur 30.000 Euro als angemessen an. § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG sieht in einem unangemessen hoch angesetzten Streitwert auch ein Indiz für Abmahnmissbrauch. Zudem seien die tatsächlichen Kosten für die Abmahnung nicht aufgeführt gewesen.
Nach Nr. 4 der Vorschrift gilt dies auch für ein zu hoch angesetztes Vertragsstrafeverlangen. Auch in diesem Punkt sah das Gericht ein Indiz:
„Die Höhe der Vertragsstrafe erscheint auch deshalb offensichtlich überhöht, weil die Verfügungsbeklagte [Anm. richtig: Verfügungsklägerin] eine Haftung unter Ausschluss der Handlungseinheit begehrte. Zwar kann der Ausschluss der Handlungseinheit durchaus einem nachvollziehbaren Anliegen folgen; für den vorliegenden Fall vermag die Kammer dies indes nicht zu erkennen. Die ursprüngliche Abmahnung der Verfügungsklägerin bezog sich auf drei Artikel der Verfügungsbeklagten. Die – spätere – Zertifizierung erlaubte der Verfügungsbeklagten ohne Differenzierung zwischen diesen Produkten, selbige zu vertreiben. Der Ausschluss der Handlungseinheit diente aus Sicht der Kammer einzig dazu, in der Summe höhere Vertragsstrafen zu generieren und deutet weniger auf ein Interesse an einem fairen Wettbewerb hin als vielmehr auf die Generierung finanzieller Mittel. Im Übrigen liegt darin auch ein Verstoß gegen § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG, weil die Verfügungsklägerin damit mehr gefordert hat, als ihr zusteht.“
Jedenfalls in der Gesamtschau sah das Gericht hier „aufgrund der Vielzahl der Indizien“, dass es der Klägerin um die Generierung von Einnahmen ging, zumal der Verstoß aus Sicht des Gerichts kein besonderes Gewicht hatte.
Das Urteil ist interessant und zeigt die neuen Risiken für Abmahnungen auf, die schnell in eine Rechtsmissbrauchsproblematik hineinlaufen können. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig und andere Gerichte haben bei der gleichen Abmahnerin die Aspekte anders gewichtet. Dies zeigt, dass sowohl Rechtsverletzer (die Verletzungshandlung war unstreitig) als auch Abmahner sich momentan mit einer ungeklärten Rechtslage zu befassen haben. Auch das kann Abmahnungen eindämmen, aber um den Preis des Beschneidens von Rechten.