01.11.2021 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
Die Mehrzahl der Berufsgruppen, in denen aktuell weniger als 12 Euro bezahlt werden, erfordert eine abgeschlossene Ausbildung. Durch die Anhebung des Mindestlohns würde vor allem die Entlohnung von Beschäftigten ohne Tarifvertrag verbessert, denn diese sind derzeit rund dreimal so häufig von Löhnen unter 12 Euro betroffen wie Beschäftigte, die nach Tarif bezahlt werden. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
„Ein Mindestlohn von 12 Euro findet nicht nur breite Zustimmung, er würde auch für viele Beschäftigte spürbare Lohnsteigerungen bedeuten“, schreibt WSI-Arbeitsmarktexperte Dr. Toralf Pusch. In seiner Untersuchung hat er die neusten verfügbaren Daten des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 2019 und des Statistischen Bundesamts ausgewertet und für das Jahr 2021 fortgeschrieben. Damit kann der WSI-Forscher unter anderem zur Gesamtzahl der Beschäftigten, die aktuell für weniger als 12 Euro arbeiten, erstmals eine verlässliche Hochrechnung für das laufende Jahr vorlegen.
Die Analyse zeigt, dass die große Mehrheit der Arbeitsverhältnisse, in denen der höhere Mindestlohn direkt zu einer Lohnanhebung führen müsste, für die jeweiligen Beschäftigten der Hauptjob ist. Das gilt 2021 für 7,3 Millionen, etwa 1,3 Millionen sind Nebentätigkeiten. Von den Hauptjobs sind rund drei Millionen Vollzeit- und knapp 4,3 Millionen Teilzeitstellen.
Auch für die Verbreitung von Löhnen unter 12 Euro in Jobs mit und ohne Tarifvertrag hat Pusch aktuelle Näherungsdaten errechnet. Sie zeigen große Unterschiede: Rund 30 Prozent der Beschäftigten, die in ihrem Hauptjob nicht nach einem Tarifvertrag bezahlt werden, arbeiten aktuell für weniger als 12 Euro pro Stunde. Mit Tarifvertrag sind es lediglich 9,5 Prozent. Eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro würde dementsprechend in der Gesamtgruppe der Beschäftigten, die nach Tarifvertrag bezahlt werden, eine durchschnittliche Lohnerhöhung von 1,0 Prozent bewirken. Unter den Beschäftigten ohne Tarif steigen die Löhne hingegen um durchschnittlich 4,1 Prozent. Die Zahlen zeigten, dass der höhere Mindestlohn „keinen tiefen Eingriff in die Tarifautonomie“ bedeute, betont Wirtschaftswissenschaftler Pusch. Er wäre „vor allem eine wirksame Stütze zur Stabilisierung der Löhne von Beschäftigten ohne Tarifvertrag.“
Die detaillierten Daten zur Verbreitung von niedrigen Löhnen in verschiedenen großen Branchen hat Pusch nicht fortgeschrieben. Der Forscher geht allerdings davon aus, dass sich bei den qualitativen Schwerpunkten gegenüber dem SOEP von 2019 nichts Grundlegendes geändert hat. Schaut man auf die absoluten Zahlen, kamen Löhne unter 12 Euro vor zwei Jahren am häufigsten im Einzelhandel, dem Gesundheitswesen, der Gebäudebetreuung, der Gastronomie und dem Sozialwesen vor. Unter den Berufen waren unter anderem Fachkräfte in Gastronomie und Hauswirtschaft, Verkäuferinnen und Verkäufer, medizinische Fachangestellte, Köche oder Berufskraftfahrende stark betroffen. Zudem Hilfskräfte in Reinigung, Hauswirtschaft, Küchen und Logistik.
Erst kürzlich hatte eine vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) geförderte Studie gezeigt, dass eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro auch gesamtwirtschaftlich sinnvoll wäre. Langfristig würde die Wirtschaftsleistung um etwa 50 Milliarden Euro im Jahr steigen. Die Staatseinnahmen erhöhen sich um rund 20 Milliarden Euro jährlich. Die Gesamtbeschäftigung würde hingegen langfristig nicht negativ beeinflusst, zeigen die Modellrechnungen, die Prof. Dr. Tom Krebs und Dr. Moritz Drechsel-Grau von der Universität Mannheim durchgeführt haben. Die Forscher gehen in ihrer Untersuchung davon aus, dass die Anhebung der Lohnuntergrenze über die unmittelbar betroffenen Arbeitsverhältnisse hinaus auch auf Löhne etwas über 12 Euro ausstrahlen dürfte.
Die Pressemitteilung mit Tabelle
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