19.10.2022 — Sarah Hofmann. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Wie sehr Deutschland auf Energieimporte aus dem Ausland angewiesen ist, zeigen der Russland-Ukraine-Krieg sowie die damit einhergehende Energiekrise nur zu gut. Die Auswirkungen dieser Abhängigkeit können Verbraucher in diesem Herbst und Winter auf ihren Strom- und Gasrechnungen leicht in Zahlen umrechnen. Der Unmut in der Bevölkerung wächst. Auch fossile Brennstoffe stehen, mit Blick auf die Klimakrise, nicht erst seit diesem Jahr in der Kritik.
Die Lösung liegt auf der Hand: Nachhaltige Wege um Gas und Strom zu fördern, müssen ausgebaut, finanziert und umgesetzt werden. Dies hat die Bundesregierung vor. Allein für die Windenergie sind zwei Prozent der heimischen Landesfläche reserviert. Zur gleichen Zeit wird immer mehr Wert darauf gelegt, dass die Landwirtschaft gestärkt wird, um die Lebensmittelversorgung krisenfester zu gestalten.
Für nachhaltige Landwirtschaft, Wind- und Solarenergie braucht es vor allem eins: Platz. Platz, der in Deutschland mittlerweile begrenzt ist. Allein Siedlungs- und Verkehrsflächen wachsen seit Jahren jährlich um 52 Hektar. Bleibt da noch genug Raum für Windanlagen, Solarparks, Obstplantagen und Gemüsefelder?
Ein Lösungsansatz scheint gefunden und zwar mit Agri-Photovoltaik. Agri-PV bezeichnet ein Verfahren zur gleichzeitigen Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und die Photovoltaik-Stromerzeugung.
Das Grundprinzip dafür scheint so sinnvoll wie effizient zu sein: Solarmodule werden mithilfe von speziellen Gerüsten meist in drei bis fünf Metern Höhe über landwirtschaftlichen Flächen installiert. Somit wäre das Platzproblem gelöst, denn eine Fläche lässt sich doppelt nutzen: Unten für den Obst- und Gemüseanbau, oben für die klimafreundliche Energieerzeugung.
Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesystem ISE hat in Freiburg ein Forschungsteam rund um das Thema Agri-Photovoltaik zusammengestellt. Der Leiter dieses Teams, Max Tommsdorf spricht von einer großen Chance für Landwirtschaft und Energiewende. Wenn man Agri-PV über rund vier Prozent der deutschen Ackerflächen installieren würde, reiche das bereits aus, um Deutschlands gesamten Strombedarf zu decken.
Doch das sei noch nicht alles. Laut Trommsdorf schützen die Solaranlagen die landwirtschaftlichen Flächen gleichzeitig vor Hagel, Frost oder übermäßiger Sonneneinstrahlung. Starke Hitzesommer, wie sie auch in unseren Breitengeraden immer häufiger vorkommen, können der Ernte dieser Felder also nichts mehr anhaben. Der Schutz vor der Sonne soll auch dazu führen, dass weniger Bewässerung für die Ackerflächen nötig ist. Da die Panels allerdings unweigerlich auch vor nötigem Regen abschirmen, war eine weitere Anpassung nötig. Das Regenwasser, das von den Solarmodulen abfließt soll aufgefangen und den Pflanzen bei Bedarf zugeführt werden.
Der Frage, wie das Zusammenspiel von Pflanzen und Solarsystem funktionieren muss, damit Ertrag und Energieausbeute gleichermaßen effizient sind, ist das Forschungsteam des Fraunhofer Instituts auch schon nachgegangen. Hierbei wurde vor allem darauf geachtet, wie die Pflanzen mit dem Wechsel von Licht und Schatten umgehen. Ein Teil der Anlage wurde daher so konzipiert, dass sich die Solarmodule je nach Licht- oder Schutzbedarf automatisch kippen und damit gezielt einstellen lassen.
Auch für die Solarmodule kann der ungewöhnliche Wirkungsbereich zur Herausforderung werden. Inwiefern sich der Pflanzenanbau auf die Robustheit der Solarmodule und die Energiegewinnung auswirkt, kann deshalb mit einer integrierten Messtechnik genau betrachtet werden.
Einige Versuchsanlagen für Agri-PV gibt es in Deutschland bereits, so z. B. im nordrhein-westfälischen Düren. Dort wurden knapp 1000 Solarmodule über den fruchtbaren Böden der Jülicher Börde aufgebaut. Projektkoordinator Matthias Meier-Grüll meint: „Die bisherigen Erfahrungen mit Agri-PV Anlagen haben gezeigt, dass sie grundsätzlich gut funktionieren. Aber es gibt weiteren Forschungsbedarf.“
Neben technischen Herausforderungen und Optimierungsideen müssen in erster Linie bürokratische Hürden gemeistert werden. Viele landwirtschaftliche Betriebe würden sich davon abschrecken lassen, dass zu dem Projekt noch kein fester rechtlicher Rahmen existiert. Die Bundesregierung will dies ändern und Agri-PV-Anlagen in Zukunft über das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) fördern. Eine Förderung würde Deutschland auch bei der Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens zugutekommen, in dem es heißt, dass der Solarenergieausbau bis 2035 auf 590 Gigawatt verzehnfacht werden soll.
In Rathenow im Westhavelland wird Agri-PV ebenfalls schon erprobt und demonstriert. Der Agraringenieur Michael Bleiker leitet die Versuche für die Firma Solarenergie und Photovoltaik Sunfarming GmbH. Hier erfreuen sich allerdings nicht nur Pflanzen an ihrem Solardach sondern auch Tiere. Für Hühner z. B. sind die schrägstehenden Solarpaneel-Pultdächer ein Wetterschutz in ihrem Freilandgehege. Für Weiderinder wird die Agri-PV-Anlage in Rathenow zu einer überdachten Futterstation mit Fressgittern. So können die Tiere auch im Winter problemlos auf den Weiden gelassen werden.
Neben den Hühnern und Rindern leben unter Bleikers Versuchs- und Demonstrationsanlagen 20 verschiedene Pflanzen. Von Heidelbeeren, über Karotten, Zwiebeln, unterschiedliche Arzneipflanzen, Ess-Mais, Kürbisse, Süßkartoffeln, Spitzkohl bis hin zu verschiedenen Sorten Wein, findet alles unter den Solarpanels Platz. Agrar-Ingenieur Bleiker merkt das zunehmende Interesse an dieser Art der Landwirtschaft und sieht enormes Potenzial in der Agri-Photovoltaik: „Unser Ziel für die Zukunft lautet: lokale Energie-Erzeugung, umweltfreundlich und verträglich mit der Landwirtschaft.“ Für ihn und sein Team ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Agri-PV-Anlagen zum normalen Bild von landwirtschaftlich nutzbaren Flächen gehören.
Quellen und Hintergründe:
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