07.12.2021 — Axel Bertram. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Das Bundesarbeitsgericht ist in einem Urteil vom 30. November 2021 (9 AZR 234/21) jetzt zu dem Ergebnis gekommen, dass der kurzarbeitsbedingte Ausfall von kompletten Arbeitstagen bei der Berechnung des Jahresurlaubs anspruchsmindernd zu berücksichtigen ist. In dem konkreten Fall ging es um eine Verkaufshilfe, die im Rahmen ihrer Teilzeittätigkeit einen jährlichen Urlaubsanspruch von 14 Tagen hatte. Coronabedingt führte die Arbeitgeberin Kurzarbeit ein. Dies führte dazu, dass die Klägerin im Jahr 2020 für drei Monate komplett von der Arbeitspflicht befreit war, darüber hinaus arbeitete sie in weiteren Monaten nur tageweise. Der Arbeitgeber nahm dies zum Anlass, den Jahresurlaubsanspruch unter Berücksichtigung der reduzierten Anzahl der tatsächlichen Arbeitstage neu zu berechnen. Gegen diese Neuberechnung wehrte sich die Klägerin und verlangte den vollständigen Jahresurlaubs in Höhe von 14 Tagen.
Das Bundesarbeitsgericht hat die Klage (wie auch schon die Vorinstanzen) abgewiesen. Soweit man der bislang vorliegenden Pressemitteilung entnehmen kann, ist das Bundesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der kurzarbeitsbedingte Ausfall ganzer Arbeitstage eine Neuberechnung des Urlaubsanspruchs rechtfertige. Aufgrund von Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage sind nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht für die Berechnung von Urlaubsansprüchen den „normalen“ Arbeitstagen mit Arbeitspflicht gleichzustellen. Der Arbeitgeber durfte dementsprechend den Jahresurlaubsanspruch auf der Basis der tatsächlich gearbeiteten Tage neu berechnen.
Die Entscheidung kommt nicht überraschend. Sie reiht sich nahtlos ein in eine Reihe weiterer Entscheidungen, mit der das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz „ohne Arbeitspflicht kein Urlaubsanspruch“ ausgeformt hatte. So hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2019 unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung entschieden, dass Arbeitnehmer für Zeiten, in den sie sich in einem unbezahlten Sonderurlaub befinden (Sabbatical), nicht noch zusätzliche Urlaubsansprüche erwerben, mithin der Jahresurlaubsanspruch anteilig um diese Zeiten ohne Arbeitspflicht zu kürzen ist (BAG v. 19.03.2019 – 9 AZR 315/17). Ebenfalls im Jahr 2019 hat das BAG entschieden, dass Arbeitnehmer in der Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses keine Urlaubsansprüche erwerben, denn für Zeiten, für die der Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht entbunden sei, entstehe generell kein gesetzlicher Anspruch auf Erholungsurlaub (BAG v. 24.09.2019 – 9 AZR 481/18).
Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, wenn das Bundesarbeitsgericht diesen Ansatz nun auch anwendet, wenn ein Arbeitnehmer kurzarbeitsbedingt von der Arbeitspflicht befreit ist.
Klarheit bringt das Urteil insoweit, dass bereits ein tageweiser kurzarbeitsbedingter Arbeitsausfall genügt, um Urlaubsansprüche zu reduzieren. Es ist nicht nötig – wie zwischenzeitlich von einigen Stimmen der Literatur angedacht –, dass über komplette Monatszeiträume hinweg kurzarbeitsbedingt nicht gearbeitet wird.
Wichtig bleibt aber auch, dass die kleinste Recheneinheit beim Urlaubsanspruch der Arbeitstag ist. Eine Kürzung von Urlaubsansprüchen kommt also nur dann in Betracht, wenn Arbeitnehmer kurzarbeitsbedingt komplette Arbeitstage frei haben. Eine nur stundenmäßig anteilige Reduzierung des Arbeitsumfangs bei gleichbleibender Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht kann dementsprechend nicht zu einer Reduzierung von Urlaubsansprüchen führen.
Wichtig ist auch, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts offensichtlich keinerlei vertragliche Regelung erforderlich ist, um dem Arbeitgeber eine entsprechende Kürzung zu gestatten. Die Kürzungsmöglichkeit ergibt sich nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts unabhängig vom Willen der Parteien schlicht aus der Anwendung des Gesetzes, eine aus Arbeitgebersicht äußerst transparente und komfortable Herangehensweise.
Für die konkrete Umsetzung der Neuberechnung verweist das Bundesarbeitsgericht auf seine diesbezüglichen Erläuterungen in der Entscheidung vom 19.03.2019, wo das Gericht folgende Berechnungsformel verwendet hat: vertragliche bzw. gesetzliche Anzahl Urlaubstage x Anzahl der tatsächlichen Tage mit Arbeitspflicht / die maximal mögliche Anzahl der Werktage pro Jahr (ohne Reduzierung um Wochenfreietage Urlaub etc.). Für einen Arbeitnehmer in der 5 – Tagewoche mit vertraglich vorgesehenen 30 Urlaubstagen pro Jahr, der für die Hälfte des Jahres unbezahlten Sonderurlaub nimmt würde sich daraus folgende Rechnung ergeben:
30 Urlaubstage x 130 Tage mit Arbeitspflicht --------------------------------------------------------------------- = 15 Urlaubstage 260 mögliche Arbeitstage
Dennoch beantwortet diese Entscheidung nicht alle Fragen, die in diesem Zusammenhang aufkommen. In dem entschiedenen Fall konnte sich der Arbeitgeber mit einer Neuberechnung des Jahresurlaubs begnügen, weil die Mitarbeiterin offensichtlich ihre Urlaubsansprüche noch nicht verbraucht hatte. Deutlich unerfreulicher ist die Situation für einen Arbeitgeber, wenn die Urlaubsansprüche schon vollständig oder zumindest größtenteils verbraucht sind, bevor die Kurzarbeitsperiode startet: dann mag man zwar rechnerisch zu dem Ergebnis kommen, dass dem Arbeitnehmer auf das Jahr gerechnet weniger Urlaubstage zugestanden hätten, als er tatsächlich schon in Anspruch genommen hat. Allerdings sieht das Urlaubsrecht eine Rückgewähr von übermäßig gewährten Urlaubsansprüchen nicht vor. In dieser Konstellation „behält“ der Arbeitnehmer die bereits genommenen Urlaubstage, eine Neuberechnung wäre müßig.
Für das Jahr 2021 kommt die Entscheidung zeitlich nicht ganz optimal. Wo trotz Kurzarbeit der Jahresurlaub für das laufende Jahr bereits gewährt wurde hat der Arbeitgeber keine rechtliche Handhabe mehr.
Wo noch nennenswerte Urlaubsansprüche bestehen hat der Arbeitgeber – wenn nicht ohnehin schon geschehen – die Möglichkeit, den Urlaubsanspruch auch jetzt noch neu zu berechnen und dann nur eine entsprechend verringerte Anzahl an Urlaubstagen zu gewähren.
Nicht ganz eindeutig ist die Situation dann, wenn der Arbeitgeber trotz Kurzarbeit die Belegschaft erst kürzlich ganz vorbildlich über den Umfang der noch bestehenden Urlaubsansprüche unter Hinweis auf den alsbald drohenden Verfall derselben unterrichtet hat – ohne dabei die Kürzungsmöglichkeit zu berücksichtigen. In einem solchen Fall lässt sich zumindest argumentieren, dass in einer solchen Auskunft kein Schuldanerkenntnis im Hinblick auf die Anzahl der noch bestehenden Urlaubstage liegt, so dass der Arbeitgeber auch noch nach einer solchen Auskunft den Urlaub neu berechnen und entsprechend reduzieren könnte.
Die Entscheidung, ob der Arbeitgeber von dieser Kürzungsmöglichkeit überhaupt Gebrauch macht oder den ohnehin schon geplagten Beschäftigten ihren Urlaubsanspruch belässt bleibt allerdings fernab jeder Juristerei eine reine Opportunitätsentscheidung. Der Arbeitgeber kann kürzen, muss aber nicht.
Ungeklärt bleibt bis auf weiteres auch das Verhältnis zum Sozialversicherungsrecht. Die Bundesagentur für Arbeit hatte in ihren umfangreichen internen Weisungen zum Verfahren bei Kurzarbeit vehement darauf hingewiesen, dass vor Inanspruchnahme von Kurzarbeit Urlaubsansprüche abgebaut werden müssten. In diesem Zusammenhang ist in Nr. 2.7.2 Abs. 7 der „fachlichen Weisungen KUG“ nach wie vor ein etwas kryptischer Hinweis auf eben die jetzt entschiedene Problematik zu finden: „In Abstimmung mit dem BMAS werden daher auch weiterhin die Ansprüche auf Kug und dessen Sonderformen danach beurteilt, welche verwertbaren Urlaubsansprüche zur Vermeidung des Arbeitsausfalls i.S. des § 96 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 heranzuziehen sind.“
Dem Kontext ist zu entnehmen, dass die Bundesagentur für Arbeit selbst für den Fall, dass arbeitsrechtlich eine kurzarbeitsbedingte Kürzung von Urlaubsansprüchen möglich ist, dennoch daran festhalten möchte, das sozialversicherungsrechtlich ein Einbringen eben dieser Urlaubsansprüche vor der Inanspruchnahme von Kurzarbeit erforderlich sein kann.
Der Konflikt liegt auf der Hand: wie kann es sein, dass der Urlaubsanspruch nach arbeitsrechtlichen Maßstäben anteilig um Zeiten der Kurzarbeit zu kürzen ist (wenn also im Extremfall ein ganzes Jahr lang Kurzarbeit herrscht sogar auf null) und das Sozialversicherungsrecht dennoch verlangt, dass die Vertragsparteien eben diesen – dann eigentlich nicht existenten – Urlaubsanspruch vor Inanspruchnahme von Kurzarbeit einbringen? Hier wird die Arbeitsverwaltung im Sinne der Einheit der Rechtsordnung ihre ohnehin mit urlaubsrechtlichen Prinzipien nur schwer zu vereinbarende Handhabung im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Kurzarbeit und Urlaubsansprüchen revidieren müssen.
Der Autor:
Axel Bertram hat nach mehreren Jahren der Tätigkeit in Großkanzleien die Kanzlei EMPLAWYERS mitbegründet. Er berät in allen Bereichen des Arbeitsrechts. Neben der Dauerberatung vor allem zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen liegt sein Fokus auf der Prozessführung. Seine Mandanten sind schwerpunktmäßig in den Bereichen Logistik, Handel sowie Unternehmensberatung tätig. Zudem ist Herr Bertram für den Verlag Dashöfer als Referent tätig.
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Bild: EKATERINA BOLOVTSOVA (Pexels, Pexels Lizenz)