Depressionen bei Männern: Wir müssen Tabus abschaffen!

16.10.2024  — Michelle Bittroff.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Depressionen betreffen Männer genauso wie Frauen, auch wenn sie statistisch gesehen seltener diagnostiziert werden – was leider noch immer mit der Tabuisierung des Themas zusammenhängt. Neueste Zahlen zeigen, dass mehr berufstätige Männer betroffen sind, so viele wie nie zuvor. Es ist daher an der Zeit, noch offener über dieses Thema zu sprechen!

Statistiken zeigen, dass Frauen häufiger an Depressionen erkranken, etwa elf Prozent erhalten jährlich die Diagnose, während es bei Männern nur knapp fünf Prozent sind. Experten wie Anne Maria Möller-Leimkühler von der Ludwig-Maximilians-Universität München bezweifeln, dass diese Zahlen das wahre Bild wiedergeben:

Dass Männer nur halb so oft diagnostiziert werden wie Frauen, bedeutet nicht, dass sie ein geringeres Depressionsrisiko haben. Vielmehr spiegelt das eine systematische Unterdiagnostizierung wider.

Dass es überhaupt zu dieser Unterdiagnostizierung kommt, liegt an mehreren Faktoren: Zum Beispiel daran, dass sich Depressionen bei Männern anders äußern können, als bei Frauen und sie deswegen seltener diagnostiziert werden. Was heißt das konkret?

Reizbarkeit statt Antriebslosigkeit?

Grundsätzlich können die Haupt- und Nebensymptome einer Depression wie Antriebslosigkeit, Interessenverlust, gedrückte Stimmung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen bei beiden Geschlechtern auftreten. Bei Männern stehen jedoch meist andere Symptome im Vordergrund.

Während Frauen häufiger sogenannte internalisierende Symptome, wie Erschöpfung, Schuldgefühle und ständiges Grübeln zeigen, sind es bei Männern eher „externalisierende“ Symptome, wie Reizbarkeit, Wut, Aggression, Risikoverhalten bis hin zum Substanzmissbrauch, wie Andreas Walther, Oberassistent für Wissenschaft und Lehre an der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Zürich, erklärt.

Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Männer nehmen nämlich seltener ärztliche Hilfe und psychotherapeutische Angebote in Anspruch und gehen weniger zu Vorsorgeuntersuchungen. Das ist u. a. auf Geschlechterstereotype und die immer noch vorherrschende gesellschaftliche Stigmatisierung des Themas „Depression“ zurückzuführen.

Die Angst vor Stigmatisierung

Traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit prägen unsere Gesellschaft leider nach wie vor. Ein „echter Mann“ zeigt angeblich keine Schwäche und hält seine Emotionen im Griff. Diese veralteten Vorstellungen können jedoch dazu führen, dass Männer zögern, ihre eigenen emotionalen Probleme anzuerkennen. Die Furcht vor Vorurteilen und das Empfinden, den gesellschaftlichen Erwartungen nicht gerecht zu werden, hindern viele daran, über ihre Gefühle zu sprechen. Außerdem scheuen viele Männer davor zurück, eine Depression zuzugeben, aus Angst, als schwach zu gelten – vor anderen und sich selbst.

Das zeigt auch eine Übersicht des RKI, in der die selbstberichteten Gründe für eine Nicht-Inanspruchnahme professioneller Hilfe bei Depression zusammengefasst werden:

Individuelle Gründe 74,1 %
Absicht mit dem Problem allein fertig zu werden 62,3 %
Annahme, dass Behandlung nicht helfen würde 25,9 %
Angst vor Krankenhauseinlieferung gegen eigenen Willen 3,3 %
Sorge darüber, was andere Leute denken würden 19 %
Sonstige Gründe 14,4 %

Zunehmende Belastung – in Familie und Beruf

Zwar zeigen die Zahlen, dass Männer statistisch gesehen seltener die Diagnose „Depression“ erhalten, doch nach Angaben der KKH Kaufmännischen Krankenkasse erreichte der Anteil der Männer, die sich aufgrund psychischer Erkrankungen krankschreiben lassen mussten, im ersten Halbjahr 2024 einen neuen Höchststand. So fielen zwischen Januar und Juni dieses Jahres 388 Fehltage pro 100 Beschäftigte wegen psychischer Belastungen an. Mittlerweile sind mehr als ein Drittel dieser Ausfälle (35,5 Prozent) auf Krankschreibungen von Männern zurückzuführen, im Vergleich zu 34,7 Prozent im Jahr 2023 und 32,4 Prozent im Vor-Corona-Jahr 2019. Besonders stark gestiegen sind die Fehlzeiten bei Männern, die aufgrund depressiver Episoden nicht arbeiten konnten – dieser Anteil liegt jetzt bei 39,2 Prozent, während er 2019 noch bei 32,7 Prozent lag. Aber wie kommen diese hohen Zahlen zustande?

Ein Grund für diese Entwicklung ist der steigende Druck in der modernen Leistungsgesellschaft. Gleichzeitig hat sich die ständige Erreichbarkeit durch Smartphones und die verwischenden Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben normalisiert. Ob im Beruf, in der Familie oder in der Freizeit – stets verfügbar zu sein und dabei Höchstleistungen zu erbringen, gilt geradezu als Erfolgsmaßstab. Zwar sind Frauen aufgrund der Doppelbelastung durch Familie und Beruf stärker betroffen, doch auch bei Männern wächst der Druck, besonders bei Vätern. Laut der Umfrage der KKH standen Anfang dieses Jahres gut die Hälfte der Väter mit Kindern unter 18 Jahren (56 Prozent) oft unter hohem Druck und Belastungen.

Diese Umfrage macht deutlich, dass Männer zunehmend belastet sind. Aber auch – und das zeigen die hohen Zahlen bei den Krankschreibungen – inzwischen offener über psychische Probleme sprechen und sich entsprechende Hilfe holen.

Depressionen kennen keine Geschlechter

Die Enttabuisierung, die sich hier abzeichnet, ist ein wichtiges Signal. Denn der Anstieg psychischer Belastungen ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das keinen Raum für Stigmatisierungen oder überholte Rollenbilder lässt. Depression kennt viele Gesichter, unterscheidet nicht zwischen den Geschlechtern und beeinflusst das Leben vieler Menschen. Umso wichtiger ist es, dass Betroffene die notwendige professionelle Hilfe erhalten, um wieder ihre Lebensqualität zurückzugewinnen. Gleichzeitig bleibt es unverzichtbar, die Tabuisierung von Depressionen bei Männern weiter abzubauen, damit auch sie frühzeitig Hilfe suchen – sei es durch den Besuch beim Hausarzt oder durch Hilfetelefone – und offener mit ihrer psychischen Gesundheit umgehen können.

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Bild: Nathan Cowley (Pexels, Pexels Lizenz)

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