18.11.2022 — Samira Sieverdingbeck. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
„Geschlechtsbezogene Gewalt ist ein systemisches Problem, das wissenschaftliche Einrichtungen nicht weniger betrifft als andere Teile der Gesellschaft“, sagt Dr. Anke Lipinsky vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften. Das Institut hat in Zusammenarbeit mit der Oxford Brookes University und der Örebro University eine Umfrage zu geschlechtsbezogener Gewalt durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen: Geschlechtsbezogene Gewalt macht vor der Wissenschaft nicht Halt.
Die Umfrage fand im Rahmen des EU-Projekts UniSAFE zwischen Januar und Mai 2022 statt. Europaweit wurden an 46 Hochschulen und Forschungseinrichtungen über 42000 Personen befragt. Hauptthema der Umfrage sind Übergriffe, die mit der Geschlechtsidentität der angegriffenen Person im Zusammenhang stehen. Es wurde zwischen sechs verschiedenen Formen von geschlechterbezogener Gewalt unterschieden.
Aufzählung der Formen mit Beispielen:
Auch sogenannte intersektionale Merkmale, wie die sexuelle Orientierung, das Alter, die Zugehörigkeit zu Minderheiten und weitere Aspekte, wurden berücksichtigt. Darüber hinaus wurden die Folgen möglicher Gewalterfahrungen betrachtet. Dazu zählten Auswirkungen auf das Wohlbefinden, den Beruf oder das Studium der Befragten.
Die Ergebnisse sind alarmierend. Fast zwei Drittel (62 %) gaben an, mindestens eine Form von geschlechtsbezogener Gewalt erlebt zu haben. Am häufigsten haben die Befragten psychische Gewalt erlebt (57 %). Fast ein Drittel (31 %) der Befragten gab an im Studium oder am Arbeitsplatz sexuelle Belästigung erfahren zu haben. Ökonomische Gewalt haben rund zehn Prozent erfahren, während acht Prozent mit Onlineformen von Gewalt konfrontiert waren. Körperliche (6 %) und sexuelle (3 %) Gewalterfahrungen sind insgesamt seltener.
Frauen und nicht-binäre Menschen sind dabei häufiger betroffen als Männer. Ausgenommen ist jedoch körperliche Gewalt. Diese haben Männer und nicht-binäre Menschen häufiger erlebt als Frauen.
Nur 13 Prozent meldeten laut der Studie die Vorfälle. 47 Prozent berichteten, dass sie sich unsicher waren, ob die Schwere des Vorfalls eine offizielle Beschwerde rechtfertige. Wiederum fast ein Drittel der Befragten gab an, sie hätten den Vorfall nicht gemeldet, da sie ihn in der Situation nicht als Gewalttat erkannten. Bei der Betrachtung der Folgen fiel besonders auf, dass Personen, die Gewalt erlebt haben, deutlich häufiger Schwierigkeiten erfuhren, als Personen, die keine Gewalterfahrungen im Universitäts- oder Hochschulumfeld gemacht haben. Zum Beispiel fühlten sie sich deutlich unproduktiver und unzufriedener in ihrem Job. 33 Prozent der Personen, die geschlechtsbezogene Gewalt erlebt haben versuchten die Abteilung oder das Team zu wechseln, während nur knapp jede zehnte Person ohne Gewalterfahrung dies versuchte.
Hintergründe der Umfrage
„UniSAFE zielt darauf ab, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und politische Entscheidungsträger*innen bei der Beseitigung von geschlechtsbezogener Gewalt im Europäischen Forschungsraum zu unterstützen. Das Projekt liefert fundiertes Wissen über geschlechtsbezogene Gewalt in Forschungseinrichtungen und Hochschulen, indem es die Mechanismen geschlechtsbezogener Gewalt, einschließlich sozialer Bedingungen, Vorstufen und Auswirkungen auf nationaler, organisatorischer und individueller Ebene untersucht.
Die anonymisierten Daten aus der Umfrage werden zusammen mit den Ergebnissen aus ausführlichen Interviews mit Nachwuchsforschenden, einer Reihe von institutionellen Fallstudien sowie einer Bewertung des politischen und rechtlichen Rahmens genau analysiert. Diese Informationen fließen in die Entwicklung einer Multilevel-Analyse ein, die im Dezember 2022 veröffentlicht wird. Bis Herbst 2023 wird das Projekt zu einer Reihe von politischen Empfehlungen und operativen Instrumenten führen, die von Hochschul- und Forschungseinrichtungen aufgegriffen werden können.“
– GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften
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