27.06.2024 — Samira Sieverdingbeck. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Trotz einiger Verbesserungen ist der Gender Gap im Fußball nach wie vor groß. Durch die laufende EM wird das wieder einmal deutlich: Public Viewing, Fähnchen an Autos und Tippspiele in Freundes- und Arbeitsgruppen. Das derzeitige „Fußball-Fieber“ fällt bei den Meisterschaften der Frauen meist deutlich kleiner aus – ganz zu schweigen, dass dann die Rede von der Frauen-EM ist, während die Männer die Kurzfassung EM gekapert haben. Und auch strukturell, besonders im Ligabetrieb, sind Frauen im Fußball noch benachteiligt; sie werden weniger gefördert, schlechter bezahlt und sind medial unterrepräsentiert.
Doch der Gender Gap besteht nicht nur im Fußball oder im Spitzensport. Auch im Freizeitsport zeigen sich deutliche Unterschiede in der Präsenz von Männern und Frauen sowie bei der Wahl der Sportarten.
Die Bestandserhebung 2023 des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) erfasst die Anzahl der Mitglieder in den Landessportbünden der Bundesländer bzw. in den dazu gehörigen Sportvereinen.
Quelle: DOSB
Anmerkung: Auch diverse Mitglieder werden in der Statistik des DOSB erfasst. Da sie jedoch deutlich unter einem Prozent ausmachen, sind sie in dieser Form der Grafiken nicht dargestellt.
Während die Anzahl der Mitglieder bis sechs Jahre noch nahezu paritätisch ist, wird die Differenz mit steigendem Alter immer größer. Im Alter von 19 bis 40 Jahren sind am wenigsten Frauen (36 %) und am meisten Männer (64 %) vertreten.
Diese Diskrepanz beschränkt sich nicht nur auf den Vereinssport. 2023 veröffentlichte ASICS die Studie „State of Mind“ und stellte ebenfalls heraus, dass Frauen insgesamt weniger sportlich aktiv sind als Männer. In einer Folgestudie untersuchte ASICS die Gründe dafür. Die am häufigsten genannten Hindernisse seien anderweitige Verpflichtungen, Zeitmangel und die Kosten für Trainerinnen und Trainer. Weitere Gründe waren ein geringes Selbstvertrauen, ein einschüchterndes Umfeld, geschlechtsspezifische Erwartungen und die Fürsorgepflicht, die sportlichen Aktivitäten im Weg stehen.
Rückblickend lässt sich nur der Kopf schütteln, wenn man betrachtet, wie stark Frauen auch strukturell und gesellschaftlich vom Sport ausgegrenzt wurden. 1955 begründeten die Funktionäre des Deutschen Fußballbunds das Verbot gegen fußballspielende Frauen mit folgenden Worten: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“ Erst 1970 war es Frauen wieder erlaubt auf dem Platz zu stehen. Zwei Jahre später wurden Frauen erstmalig zum Marathon zugelassen. Vor diesem Hintergrund sind die diesjährigen Olympischen Spiele in Paris ein besonderer Meilenstein – zum ersten Mal erreichen sie Geschlechterparität.
Doch nicht nur die Anzahl an Frauen und Männern, die Sport machen ist entscheidend. Immer noch bestehen große Unterschiede bei der Wahl der Sportart. Der Bericht des DOSB erfasst die Anzahl der Mitglieder pro Sportart. Bei Kindern und Jugendlichen ergibt sich folgendes Bild:
Quelle: DOSB
Die Sportsoziologin Ilse Hartmann-Tews sagte dem MDR gegenüber, dass es zwar mittlerweile eine allgemeine gesellschaftliche Offenheit für ‚geschlechteruntypische‘ Sportarten gebe, dass Mädchen, die boxen, oder Jungen, die Ballett tanzen, jedoch weiterhin mit Sprüchen und Vorurteilen konfrontiert seien.
Darüber hinaus werden Kinder gerade im Bereich Bewegung noch immer früh mit stereotypen Mustern konfrontiert. Je nach Elternhaus werden Jungen oft zu interaktiven, körperlichen Aktivitäten motiviert, während Mädchen eher ruhig spielen und stärker die Feinmotorik trainieren sollen. Weiter beeinflusst werden Kinder dann durch Kleidung, Spielzeug und Medien, die stereotype Rollenbilder immer noch in großen Teilen reproduzieren.
Die gute Nachricht: Insgesamt sind die Zahlen der Vereinsmitglieder nach den Rückschlägen durch die Corona-Pandemie wieder steigend – mehr Menschen machen also Sport. Außerdem haben Menschen jeden Geschlechts in Deutschland das Recht einer Sportart ihrer Wahl nachzugehen. Insgesamt hat sich auch das Bild von stereotyp „männlichen“ oder „weiblichen“ Sportarten gelockert.
Die schlechte Nachricht: Weg ist es noch nicht.
Bis heute werden Mädchen und Frauen im Sport systematisch benachteiligt – im Freizeit-, aber auch im Profisport. Doch auch Jungen und Männer können durch die gesellschaftlichen Erwartungen unter Druck geraten. Schließlich spielen zwar viele Jungen Fußball im Verein, ob ihnen nicht auch Turnen, Ballett oder Reiten gefallen würde, bleibt aber unklar. Oft dominieren die Erwartungen der Eltern oder die Vorbilder im engen Bekanntenkreis die Wünsche des Kindes. Auch im Erwachsenenleben können Männer unter dem erhöhten Sportpensum leiden. Der Stereotyp des muskulösen, sportlichen Mannes hält sich wacker und kann zu starker psychischer (und letztendlich auch physischer) Belastung führen.
Ziel sollte es daher sein, Sport im Profi- aber auch im Freizeitbereich von Stereotypen und geschlechtsspezifischen Ungleichheiten zu befreien. Dazu müssen Gehälter und Fördergelder gerechter verteilt werden. Gleichzeitig lohnt es sich die eigenen Stereotype und Hindernisse zu identifizieren und nach positiven Vorbildern im Sport Ausschau zu halten.
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