22.11.2023 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Lesben- und Schwulenverband (LSVD).
Anlässlich dessen hat der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) mit 35 weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz und alle Kabinettsmitglieder geschickt, den wir hier in Auszügen wiedergeben:
Nach der Öffnung der Ehe und der Einführung eines dritten positiven Geschlechtseintrags hatten wir große Hoffnung, queere Lebensweisen und Identitäten würden nun endgültig Teil gesellschaftlicher Normalität. Derzeit erleben wir jedoch einen deutlichen gesellschaftlichen Backlash: Die Akzeptanzwerte zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sinken erstmals seit Jahrzehnten, "soziale" Medien werden gezielt als Resonanzräume für menschenverachtende Queerfeindlichkeit instrumentalisiert, die homo- und transfeindliche Gewalt auf der Straße nimmt merklich und messbar zu. Diese Entwicklungen machen uns Angst. Dass Ihre Regierung bei den zentralen Punkten jedoch bisher nicht liefert, was sie versprochen hat, ist für uns angesichts der grundsätzlich so großen Einigkeit der Koalitionspartner bei queerpolitischen Themen vollkommen unverständlich und mehr als besorgniserregend.
Wir fordern Sie daher auf: Sorgen Sie dafür, dass die trans- und interfeindlichen Passagen im geplanten Selbstbestimmungsgesetz gestrichen werden! Legen Sie einen Zeitplan für die Reform des Abstammungsrechts und des AGG vor! Schließen Sie die Lücken im Gesetz zu Konversionsbehandlungen und im OP-Verbot für intergeschlechtlich geborene Kinder! Und schließlich: Sorgen Sie dafür, dass Sie zusammen mit Linken und Union den Schutz von LSBTIQ* im Grundgesetz verankern! Der queerpolitische Aufbruch droht zu scheitern, wenn wir das Ruder jetzt nicht gemeinsam herumreißen.
Besonders dringend ist für uns dabei, dass Bundestag und Bundesrat den Artikel 3 des Grundgesetzes so ergänzen, dass unstreitig sichergestellt ist, dass sowohl die sexuelle Identität als auch die geschlechtliche Identität unter dem vollumfänglichen Schutz des Grundgesetzes stehen. Artikel 3 wurde seinerzeit geschrieben, um die Opfergruppen der Nazi-Verfolgung vor erneuter Diskriminierung und Gewalt zu schützen. Sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat müssen nun ein Zeichen setzen, dass auch für die im Nationalsozialismus verfolgte Gruppe der LSBTIQ*-Personen gilt: Nie wieder! Jetzt, da rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien wieder stärker werden, da queerfeindliche Gewalt zunimmt und mitunter tödlich endet, gilt es, Fakten zu schaffen, damit queere Menschen auch in zehn oder zwanzig Jahren besser vor Diskriminierung geschützt sind.
Der vor einem Jahr vom Bundeskabinett verabschiedete Aktionsplan „Queer leben“ kann einen guten Rahmen darstellen, um im Austausch zwischen Bundesregierung und Zivilgesellschaft die nun dringenden nötigen Schritte zu gehen. Werden die hierin vereinbarten Maßnahmen jedoch nicht endlich finanziell unterlegt, bei der Haushaltsvoranmeldung für 2025 berücksichtigt und werden die hierin aufgegriffenen Reformen nicht mit Nachdruck umgesetzt, droht er ein Feigenblatt zu werden. Hier werden die Kräfte der queeren Zivilgesellschaft auf wenig konstruktive Weise gebunden, während die Community in zunehmender Angst um ihre Rechte und Sicherheit lebt.
Die folgenden Organisationen haben den offenen Brief in ungekürzter Fassung unterschrieben:
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