08.11.2021 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: DANSEF Deutsche Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht e. V..
Darauf verweist die Frankfurter Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht Helene – Monika Filiz, Vizepräsidentin der DANSEF Deutsche Anwalts‑, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hinweis auf die Mitteilung des Bundesgerichthofs (BGH) zu seinem Beschluss vom 27. Oktober 2021 — XII ZB 123/21.
Diese Frage ist u.a. dafür von Bedeutung, ob ein erwerbstätiger Elternteil für den Kindesunterhalt sein oberhalb des sog. notwendigen Selbstbehalts (derzeit 1.160 €) liegendes Einkommen einzusetzen hat oder lediglich das Einkommen oberhalb seines sog. angemessenen Selbstbehalts (derzeit 1.400 €).
Im zugrundeliegenden Fall hat ein Bundesland als Träger der Unterhaltsvorschusskasse Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht für den Zeitraum von Juni 2016 bis einschließlich Dezember 2017 verlangt. Der Antragsgegner ist der Vater der im August 2010 geborenen M., die aus seiner inzwischen geschiedenen Ehe mit der Kindesmutter hervorgegangen ist, sowie eines Sohnes, dem er ebenfalls unterhaltspflichtig ist. Er verfügte über ein Nettoeinkommen von rund 1.400 € und zahlte an die Kindesmutter, deren Nettoeinkommen aus einer Teilzeittätigkeit rund 1.000 € betrug, monatlichen Unterhalt für M. in Höhe von 100 €. Seine Eltern — die Großeltern von M. — hatten monatliche Nettoeinkünfte von fast 3.500 € bzw. gut 2.200 €. Die Unterhaltsvorschusskasse leistete für M. Unterhaltsvorschuss und nahm den Vater von auf sie übergegangenen Unterhalt in Höhe von insgesamt 758,29 € in Regress. Der Antragsgegner wandte ein, er hafte angesichts der leistungsfähigen Großeltern nur bis zur Höhe des angemessenen Selbstbehalts und sei deswegen nicht leistungsfähig. Das Amtsgericht hat dem Zahlungsantrag in vollem Umfang entsprochen. Auf die Beschwerde des Vaters hat das Oberlandesgericht diese Entscheidung abgeändert und den Antrag abgewiesen.
Der Bundesgerichtshof hat die dagegen vom Land eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgewiesen, weil der Vater nicht über die von ihm erbrachten Unterhaltszahlungen hinaus leistungsfähig im Sinne des § 1603 BGB war.
Verwandte in gerader Linie haben einander nach § 1601 BGB Unterhalt zu gewähren, wobei die Unterhaltspflicht der Eltern für ihre Kinder derjenigen der Großeltern für ihre Enkel vorgeht (§ 1606 Abs. 2 BGB). Unterhaltspflichtig ist nach § 1603 Abs. 1 BGB nicht, wer seinen angemessenen Unterhalt gefährden würde; der daraus abgeleitete angemessene Selbstbehalt eines Elternteils gegenüber seinem Kind betrug seinerzeit 1.300 €. Allerdings trifft Eltern minderjähriger Kinder gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB eine gesteigerte Unterhaltspflicht, weshalb ihnen insoweit nur der notwendige Selbstbehalt von seinerzeit 1.080 € zusteht. Diese sog. gesteigerte Verpflichtung tritt nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 BGB nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist.
Wie der Bundesgerichtshof nun entschieden hat, führt das Vorhandensein von für den Enkelunterhalt leistungsfähigen Großeltern dazu, dass die gesteigerte Unterhaltspflicht der Eltern für ihre minderjährigen Kinder entfällt. Dies folgt nicht nur aus dem Gesetzeswortlaut, der nicht nach dem Verwandtschaftsgrad differenziert. Es entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der diese Regelung seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Vorstellung getroffen hatte, die Erweiterung der Unterhaltspflicht sei wegen der für die Eltern damit verbundenen Härte nicht gerechtfertigt, so lange andere zur Gewährung des Unterhalts verpflichtete Verwandte wie etwa Großeltern vorhanden sind. An dieser gesetzgeberischen Konzeption, die sich in die Konstruktion des Verwandtenunterhalts als Ausdruck der generationenübergreifenden Solidarität einfügt, hat sich bis heute nichts geändert. Werden Großeltern für den Unterhalt ihrer Enkel herangezogen, stellt dies auch keine verdeckte Unterhaltsgewährung an die Kindeseltern dar. Vielmehr haften sie gemäß § 1607 Abs. 1 BGB originär nur auf Unterhalt gegenüber ihren Enkelkindern. Die Kindeseltern müssen ihren eigenen angemessenen Unterhalt selbst sicherstellen.
Durch dieses Gesetzesverständnis wird das gesetzliche Rangverhältnis nicht in Frage gestellt. Zudem bleibt gewährleistet, dass die Ersatzhaftung der Großeltern die Ausnahme darstellt. Dafür sorgt nicht nur die Anordnung des Vorrangs der elterlichen Unterhaltspflicht, sondern auch, dass Großeltern gegenüber ihren Enkeln ein deutlich höherer angemessener Selbstbehalt zusteht (derzeit 2.000 € zzgl. der Hälfte des über 2.000 € liegenden Einkommens) als den Eltern gegenüber ihren Kindern. Dass der Staat für Unterhaltsvorschusszahlungen keinen Regress (§ 7 Abs. 1 Satz 1 UVG) bei Großeltern nehmen kann, ist wiederum eine ganz bewusste gesetzgeberische Entscheidung, kann jedoch nicht dafür maßgeblich sein, welchen Umfang die zivilrechtliche Unterhaltspflicht der Eltern hat. Schließlich geben auch Praktikabilitätserwägungen keine Veranlassung zu einer abweichenden Gesetzesauslegung. Bereits die Anzahl der Fälle, in denen intensivere Nachforschungen zu den Einkommensverhältnissen der Großeltern erforderlich sind, dürfte begrenzt sein. Vor allem aber muss ein auf Unterhalt in Anspruch genommener Elternteil in solchen Fällen nicht nur darlegen und beweisen, dass bei Unterhaltszahlung sein angemessener Selbstbehalt nicht gewahrt wäre, sondern auch, dass andere leistungsfähige Verwandte vorhanden sind.
Danach traf den Vater hier keine gesteigerte Unterhaltspflicht, weil jedenfalls der Großvater ohne weiteres leistungsfähig für den Kindesunterhalt war. Unter Berücksichtigung des angemessenen Selbstbehalts musste der Vater daher über die bereits gezahlten 100 € hinaus keinen weiteren Kindesunterhalt leisten.
Bild: Andrea Piacquadio (Pexels, Pexels Lizenz)
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