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RWI-Studie: Aufhebung der Tarifeinheit bisher nahezu folgenlos

21.03.2011  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Betriebsrat spezial.

Das BAG-Urteil zur Aufhebung der Tarifeinheit vom Juni 2010 hat bisher weder zu vielen Neugründungen von Spartengewerkschaften noch zu vermehrten Arbeitskämpfen geführt.

Dies ist das Ergebnis einer aktuellen RWI-Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Statt der von BDA und DGB geforderten gesetzlichen Rückkehr zur Tarifeinheit sollte daher die Tarifpluralität eine Bewährungschance erhalten. Exzessive Streiks könnten durch Änderungen im Arbeitskampfrecht vermieden werden.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Aufhebung der Tarifeinheit vom Juni 2010 hat bisher zu keinem starken Anstieg der Neugründungen von Gewerkschaften geführt. Auch ist es bisher nicht zu vermehrten Arbeitskämpfen gekommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi). Das BAG hatte in seinem Urteil den bis dahin geltenden Grundsatz der Tarifeinheit aufgehoben. Seither ist in einem einzelnen Betrieb die gleichzeitige Geltung mehrerer Tarifverträge rechtlich zulässig.

Auch für die absehbare Zukunft ist davon auszugehen, dass sich voraussichtlich nur wenige Spartengewerkschaften neu gründen werden. Einen Eingriff des Gesetzgebers zugunsten der Tarifeinheit, wie er von BDA und DGB gefordert wird, hält das RWI zum jetzigen Zeitpunkt daher für unnötig. Die Tarifpluralität sollte eine Bewährungschance erhalten, selbst wenn sie zu Verschiebungen in den betrieblichen Lohnstrukturen führt.

Keine Notwendigkeit staatlicher Eingriffe in das Tarifrecht

Bereits vor der Aufhebung der Tarifeinheit haben sich mehrere Berufsgewerkschaften – wie beispielsweise der Marburger Bund (MB) oder die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) – gegründet. Das zeigt, dass es in bestimmten Bereichen durchaus den Wunsch nach gewerkschaftlicher Vertretung entlang beruflicher Linien gibt. Dies ist insbesondere bei Berufsgruppen der Fall, die innerhalb ihrer Branche eine Schlüsselfunktion haben. Zudem weist die Existenz dieser Spartengewerkschaften darauf hin, dass es den großen Einheitsgewerkschaften bislang nicht zu gelingen scheint, der zunehmenden Komplexität der Arbeitswelt mit ihren vielfältigen Interessenlagen völlig gerecht zu werden.

Ein Eingriff des Gesetzgebers, im Extremfall die Festschreibung der Tarifeinheit, hätte bedeutende Folgen für die Tariflandschaft und Ergebnisse von Tarifverhandlungen. Hierbei besteht das Hauptproblem darin, dass sich letztere schlecht von außenstehenden Beobachtern auf Basis von moralischen Kriterien lösen lassen. Denn innerbetriebliche Solidarität und Fairness mag je nach Perspektive sowohl als Lohnkompression, also als Schutz der Schwachen, als auch als Lohndifferenzierung, also als Belohnung der Leistungsträger, verstanden werden. Ein Kompromiss, der einen innerbetrieblichen Konsens erzielt, dürfte immer eine Balance dieser Aspekte erfordern. Nicht der Gesetzgeber sollte somit seine Vorstellungen von Gerechtigkeit im Betrieb durchzusetzen, sondern die Arbeitnehmer selbst, indem sie als ungerechtfertigt empfundene Lohnforderungen von Eliten mittels sozialem Druck verhindern, aber auch anerkennen, dass besonders knappe Fähigkeiten und Leistungen eine herausgehobene Entlohnung rechtfertigen.

Geändertes Arbeitskampfrecht könnte lähmende Streiks vermeiden

Sollte es sich letztlich doch herausstellen, dass es in Folge des BAG-Urteils sowohl zu mehr Tarifpluralität als auch dadurch zu erheblichen Störungen des Tarifvertragssystems und massiven wirtschaftlichen Problemen aufgrund von häufigen Arbeitskämpfen kommt, sollten Änderungen beim Arbeitskampfrecht erfolgen. Diese ließen sich so ausgestalten, dass sie nur begrenzt in die Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften eingreifen. Dazu liefert die RWI-Studie einen konkreten Vorschlag, der zwei Kernelemente beinhaltet: Erstens sollten die Tarifverhandlungen innerhalb eines Betriebs durch verfassungsrechtlich unproblematische verfahrensrechtliche Regelungen koordiniert werden. Zweitens sollte das Streikrecht nach Abschluss eines Tarifvertrags eingeschränkt werden, um lähmende Arbeitskämpfe zu vermeiden.

Der aktuelle Streik der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) ist kein Argument gegen die Tarifpluralität. Vielmehr sind Streiks natürlicher Bestandteil von tarifpolitischen Auseinandersetzungen. Allerdings macht der derzeitige Streik auch deutlich, dass gesetzgeberische Eingriffe in das Streikrecht notwendig werden könnten. Des Weiteren sollte sich die GdL ihrer Verantwortung für etwaige negative Folgen bewusst sein, die durch ein mögliches Zurückdrängen der privaten Bahnbetreiber und somit einer Verringerung des Wettbewerbs im Personen- und Güterfernverkehr entstehen könnten.

Quelle: Joachim Schmidt, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.
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