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Stadt oder Land? Wie Deutsche in Zukunft leben möchten

08.11.2021  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Fraunhofer Institut.

Zum Start der ARD-Themenwoche »Stadt.Land.Wandel – Wo ist die Zukunft zu Hause?« haben acatech, das Fraunhofer IAO und der Bayerische Rundfunk die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Studie vorgestellt. Die fast 9000 befragten Stadt- und Landbewohnende bewerten zukünftige Herausforderungen unterschiedlich.

Sie wollen mehr mitgestalten. Mobilität und Nachhaltigkeit stehen dabei im Fokus.

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Seit der COVID-19-Pandemie stellen sich mehr Menschen in Deutschland die Frage, wo sie in Zukunft leben wollen – in der Stadt, in der Kleinstadt oder doch auf dem Dorf? Welche Wünsche die Menschen an das zukünftige Leben in urbanen oder ländlichen Gebieten haben, wie sie dort wohnen, sich ernähren und arbeiten wollen und welche Rolle technologische Innovationen, insbesondere aus dem Bereich der Bioökonomie, dabei spielen, darüber geben die Ergebnisse der Umfrage »Stadt.Land.Chancen« Aufschluss. Die Studie ist ein Gemeinschaftsprojekt von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, des Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und des Bayerischen Rundfunks (BR) als Medienpartner und wurde mit Mitteln aus dem Wissenschaftsjahr 20/21 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt.

Die Studie bestätigt, dass die Menschen in ländlichen Regionen mögliche zukünftige Veränderungen anders bewerten als ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger in den Städten: Während sich auf dem Land 81,6 Prozent der Menschen Sorgen machen, dass die gesundheitliche Infrastruktur in der Umgebung schlechter wird, teilen diese Wahrnehmung unter den Stadtbewohnenden nur zwei Drittel (66,2 Prozent). Genauso wird auf dem Land stärker befürchtet, von neuen Mobilitätsangeboten nicht profitieren zu können (76,1 Prozent vs. 60,6 Prozent) oder Kulturangebote wie Konzerte, Kino oder Theater bald nicht mehr nutzen zu können (72,9 Prozent vs. 61,3 Prozent). Mit Blick auf die insgesamt hohen Zustimmungswerte wird klar: Unabhängig vom Wohnort erwartet eine Mehrheit der Umfrageteilnehmenden Versorgungsprobleme in den Bereichen Gesundheit, Mobilität und Kultur.

Weitaus stärkere Einigkeit unter Stadt- und Landbewohnenden herrscht bei den Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz. So wünschen sich 97,5 Prozent der Stadtbewohnenden und 96,3 Prozent der Landbewohnenden, beim Einkauf auf einen Blick erkennen zu können, welche Auswirkungen ein bestimmtes Produkt auf die Umwelt hat. 94,2 bzw. 95,7 Prozent der Befragten ist es wichtig, dass gekaufte Lebensmittel in der Region angebaut wurden. Auch bei der Mobilität der Zukunft denken die Befragten an die Umwelt: Etwa 9 von 10 Befragten (Stadt: 92,2 Prozent, Land: 87,7 Prozent) hoffen, zukünftig vor allem mit grüner Energie unterwegs sein zu können. Anwendungen aus dem Bereich der Bioökonomie dürfte in den kommenden Jahren also eine Schlüsselrolle zukommen.

Die Menschen in Deutschland wollen mehr mitgestalten

Insgesamt zeigen die Umfrageergebnisse, dass sich die Menschen bei der Gestaltung ihrer Zukunft einbringen wollen: 82,7 Prozent der Stadt- bzw. 86,9 Prozent der Landbewohnenden haben Interesse daran, die Entwicklung ihrer Wohnumgebung aktiv mitzugestalten, zum Beispiel in Vereinen oder durch Bürgerbeteiligungsverfahren. In der Gruppe der Ü60-Jährigen ist dieses Interesse mit 88,7 Prozent deutlich stärker ausgeprägt als bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 29 Jahre (78,6 Prozent). Auch das Leben in Wohngemeinschaften oder Mehrgenerationenhäusern können sich die Älteren eher vorstellen als die Jüngeren (87,6 Prozent vs. 76,3 Prozent). Gegenüber bioökonomischen Innovationen sind Seniorinnen und Senioren dagegen skeptischer: Während 80,6 Prozent der Unter-30-Jährigen sich über im Labor hergestellte, nachhaltige Fleischalternativen in den Supermarktregalen freuen würden, ist dieser Anteil in der Ü60-Gruppe mit 72,0 Prozent deutlich geringer.

Nachhaltigkeit beim Konsum ist ein starker Wunsch der Befragten – allerdings fürchten auch einige, dass dieser Wunsch aufgrund der eigenen Lebensumstände nicht Wirklichkeit werden kann: Rund drei Viertel (76,5 Prozent) der Befragten, die sich selbst in die Gruppe der Einkommensschwachen einordnen, befürchten, sich nachhaltig produzierte Produkte nicht leisten zu können. In der Gruppe der Einkommensstarken ist diese Sorge deutlich weniger stark ausgeprägt (57,4 Prozent).

»Insgesamt wollen laut Studie 88,5 Prozent der Befragten frühzeitig über Zukunftsthemen informiert werden. Das Ergebnis zeigt eindrücklich, wie wichtig es ist, wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie die Zukunft aussehen könnte, frühzeitig, nachvollziehbar und verständlich in die Gesellschaft zu vermitteln. Diese Erkenntnis muss verbreitet und in weiteren Initiativen und Projekten aufgegriffen werden«, findet Studienleiterin und acatech Vorstandsmitglied Prof. Dr. Martina Schraudner.

Ihre Co-Studienleiterin Simone Kaiser, Leiterin des CeRRI des Fraunhofer IAO, ergänzt: »Die Befragten wünschen sich neue Lösungen für besseren Umweltschutz und dass alle Menschen Zugang zu diesen Angeboten haben – ganz unabhängig davon, wo sie wohnen oder wie groß ihr Geldbeutel ist. Die Befragungsergebnisse stehen damit für konkrete Gestaltunganforderungen. Diese können und sollten bereits heute in den technologischen und politischen Transformationsprozessen vor Ort aufgegriffen und für eine gemeinwohlorientierte Gestaltung neuer Lösungen genutzt werden.« »Gemeinsame positive Ziele«: starke Stadt-Land-Gemeinschaft steht für Bayerinnen und Bayern im Zentrum der Zukunftsgestaltung

Haben Themen in verschiedenen Regionen besondere Relevanz? Welche persönlichen Wünsche und Sorgen verbinden die Umfrageteilnehmenden mit möglichen Zukünften? Gibt es bereits Ideen, wie sich Brücken zwischen Stadt und Land schlagen und Impulse für zukünftige Regionalentwicklungsprozesse in Bayern setzen lassen? Für die vertiefende Studie »Stadt.Land.Chancen - Ergebnisse der Befragung in Bayern« haben acatech und CeRRI zusätzlich insgesamt 54 Bürgerinnen und Bürger aus Bayern in vier Workshops befragt und damit den Startschuss für das Dialogprojekt »Bayern denkt Zukunft« gegeben, das die bayerische Gesellschaft als Ganzes miteinander ins Gespräch bringen will.

Die Studie, die vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gefördert wurde, zeigt das kreative Potenzial der Zivilgesellschaft. Sie macht deutlich, dass trotz aller Unterschiede Gemeinsamkeiten zwischen Stadt- und Landbewohnenden überwiegen und sie sogar dort zu finden sind, wo man sie nicht vermutet: Statt Land und Stadt getrennt zu denken, haben die Teilnehmenden eine Stadt-Land-Gemeinschaft entworfen, in der sich mit innovativen Ansätzen viele, auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Wünsche erfüllen und Sorgen auffangen lassen.

Die Studie lässt Tendenzen erkennen, welche Themen die Menschen in den einzelnen Regionen besonders beschäftigen: Das ökologische Bewusstsein scheint in den bayerischen Großstädten München und Nürnberg sowie in Mittelfranken besonders ausgeprägt. Während in Niederbayern die Sorge, mit technologischen Entwicklungen im Privatleben wie auch im Berufsleben nicht Schritt halten zu können, tendenziell deutlich größer als im bayernweiten Durchschnitt ist, sehen Umfrageteilnehmende aus Schwaben in der Digitalisierung einen deutlich geringeren Nutzen als ihre bayerischen Landsleute – dicht gefolgt von den Mittelfranken. In Unterfranken wird die Digitalisierung am positivsten gesehen, aber die Veränderung des Soziallebens mit überdurchschnittlicher Sorge beobachtet. Grundsätzlich steht im dünn besiedelten, ländlichen Raum die Gemeinschaft augenscheinlich viel stärker im Mittelpunkt als im bayerischen Durchschnitt. Am anderen Ende der Skala befinden sich die Teilnehmenden aus München. Hier wird Individualität großgeschrieben, allerdings werden auch negative Auswirkungen wie Vereinsamung tendenziell mit größerer Sorge gesehen.

Die Ergebnisse der Online-Umfrage und der Workshops fließen in eine Reihe von Dialogveranstaltungen ein, die Impulse für die regionale Zukunftsgestaltung liefern sollen.

Bild: Luis Quintero (Pexels, Pexels Lizenz)

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