29.04.2019 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Ein Vertrag, mit dem ein Investor ein Architekten- und Ingenieurbüro mit der Überwachung des Baus eines noch zu errichtenden Gebäudes beauftragt, ist ein Leistungsvertrag, der i.S. von § 4 Abs. 2 Satz 5 InvZulG 2010 der Bauausführung zuzurechnen ist. Beginn der Herstellung eines Gebäudes ist somit spätestens der Zeitpunkt, zu dem ein solcher Vertrag abgeschlossen worden ist.
Die Klägerin ist eine im Fördergebiet ansässige GmbH, die sich mit der Herstellung elektronischer Bauelemente befasst. Sie beabsichtigte, eine Betriebshalle am Standort H zu errichten. Durch Vertrag vom 16. Februar 2009 beauftragte sie die M-GmbH mit Planungsleistungen für die Halle. Der Bauantrag wurde im November 2010 eingereicht, die Baugenehmigung wurde im Mai 2011 erteilt. Durch einen Architekten- und Ingenieurvertrag vom 13. April 2011 beauftragte die Klägerin die M-GmbH mit der Erbringung von Leistungen, welche u.a. die Grundleistungen der Leistungsphasen 5 bis 9 gemäß § 3 Abs. 4 HOAI 2009 betrafen. Die Klägerin konnte den Vertrag vor der Ausführung der Pläne kündigen. In diesem Fall sollte die M-GmbH den Vergütungsanspruch behalten, hätte sich jedoch ersparte Aufwendungen anrechnen lassen müssen. Für den Fall, dass die Klägerin die Leistungsphasen 5 bis 9 nicht abrufen würde und sie auch nicht an einen Dritten vergeben würde (Projektabbruch), sollte der M-GmbH nach § 21 des Vertrags kein weiteres Honorar zustehen. Ein Anspruch auf Beauftragung der Leistungsphasen 5 bis 9 sollte bestehen, wenn die Klägerin das Projekt nach der Leistungsphase 4 fortführen würde und den Vertrag nicht aus wichtigem Grund kündigen würde. Im Dezember 2012 erteilte die Klägerin der Fa. W den Auftrag zur Ausführung der Bauarbeiten.
Die Klägerin, welche die Begriffsdefinition für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) i.S. der Kommissionsempfehlung vom 6. Mai 2003 erfüllte (§ 6 Abs. 2 InvZulG 2010), begehrte mit Anträgen vom 20. Februar 2015 für die Jahre 2011 bis 2013 eine Investitionszulage für die Investitionen, die mit dem Erstinvestitionsvorhaben "Erweiterung der Betriebsstätte H" zusammenhingen (Neubau einer Halle und Ausstattung). Hinsichtlich des Gebäudes bezog sie die im jeweiligen Kalenderjahr entstandenen Teilherstellungskosten in die Bemessungsgrundlage ein. Als Tag des Beginns des Vorhabens gab sie den 15. April 2011 an.
Das FA führte bei der Klägerin eine Außenprüfung durch. Nach Ansicht der Prüferin war erst der Abschluss des Bauvertrages mit der Fa. W im Dezember 2012 als Beginn des Erstinvestitionsvorhabens anzusehen, so dass die unbeweglichen Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 4 InvZulG 2010 nur mit einem Zulagensatz von 5 % (statt 7,5 %) und die im Jahr 2013 angeschafften beweglichen Wirtschaftsgüter, die zum Erstinvestitionsvorhaben "Erweiterung der Betriebsstätte H" gehörten, nur mit einem Satz von 10 % (statt 15 %) gefördert werden könnten (§ 6 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 4 InvZulG 2010). Das FA erließ am 3. Dezember 2015 sowie am 10. Dezember 2015 Festsetzungsbescheide, denen die Rechtsauffassung der Prüferin zugrunde lag. Für das Jahr 2012 hatte dies nach Ansicht des FA zur Folge, dass die festgesetzte Zulage die beantragte überstieg.
Gegen die Zulagenbescheide wandte sich die Klägerin mit Einsprüchen, mit denen sie geltend machte, bereits der Vertrag vom 13. April 2011 sei als Baubeginn anzusehen. Die Rechtsbehelfe hatten keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 8. März 2017). Das FG wies die anschließend erhobene Klage ab.
Die Revision ist begründet (BFH Urteil vom 13.12.2018, III R 22/17). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das FG war zu Unrecht der Rechtsauffassung, dass die Investitionen, die zum Erstinvestitionsvorhaben "Erweiterung der Betriebsstätte H" gehören, nicht mit den Sätzen gefördert werden können, die für Erstinvestitionsvorhaben vorgesehen sind, mit denen im Jahr 2011 begonnen worden ist.
Nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 InvZulG 2010 wird für die Anschaffung und die Herstellung neuer beweglicher und unbeweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die zu einem Erstinvestitionsvorhaben eines begünstigten Betriebs im Fördergebiet gehören, eine Investitionszulage gewährt, sofern weitere (hier nicht streitige) Voraussetzungen erfüllt sind. In die Bemessungsgrundlage können (wie im Streitfall) auch Teilherstellungskosten einbezogen werden (§ 5 Satz 2 InvZulG 2010). Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Zulage für die Wirtschaftsgüter, die mit dem Erstinvestitionsvorhaben zusammenhingen (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 2 InvZulG 2010), sind im Streitfall dem Grunde nach erfüllt. Die Beteiligten streiten lediglich über die Höhe der Zulage. Die Höhe der Zulage hängt u.a. davon ab, in welchem Jahr ein Investor mit dem Erstinvestitionsvorhaben begonnen hat. Lag der Beginn im Jahr 2011, so belief sich die Zulage für unbewegliche Wirtschaftsgüter auf 7,5 % (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 InvZulG 2010) und für bewegliche Wirtschaftsgüter auf 15 % (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 InvZulG 2010), sofern der Betrieb (wie der der Klägerin) die KMU-Begriffsdefinition erfüllte.
Der Beginn eines Erstinvestitionsvorhabens, das sich aus mehreren Einzelinvestitionen zusammensetzt, ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 InvZulG 2010 der Zeitpunkt, zu dem mit der ersten hierzu gehörenden Einzelinvestition begonnen worden ist. Bei der Anschaffung von Wirtschaftsgütern ist dies der Zeitpunkt der Bestellung, bei der Herstellung der Zeitpunkt, zu dem mit seiner Herstellung begonnen worden ist (§ 4 Abs. 2 Satz 3 InvZulG 2010). Abweichend hiervon fingiert § 4 Abs. 2 Satz 5 InvZulG 2010 für den Fall der Gebäudeherstellung den Abschluss eines der Ausführung zuzurechnenden Lieferungs- oder Leistungsvertrages oder die Aufnahme von Bauarbeiten als Herstellungsbeginn. Mit dieser Fiktion regelt das InvZulG 2010 den Beginn der Gebäudeherstellung abweichend von den Grundsätzen des Ertragsteuerrechts, die im Allgemeinen bei der Auslegung von Begriffen des Investitionszulagenrechts heranzuziehen sind. Bereits unter Geltung des InvZulG 2007 wurde der Abschluss eines der Ausführung zuzurechnenden Lieferungs- oder Leistungsvertrags als Beginn der Herstellung von Gebäuden fingiert (§ 3 Abs. 2 Satz 5 InvZulG 2007). Nach § 2 Abs. 4 Satz 4 InvZulG 2005 war dagegen bei genehmigungspflichtigen Bauvorhaben auf die Einreichung des Bauantrags abzustellen.
Die Gesetzesbegründung zum InvZulG 2007 lässt vermuten, dass der Gesetzgeber Planungsarbeiten sowohl bei beweglichen als auch bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern noch nicht als Herstellungsbeginn ansehen wollte. Möglicherweise wollte der Gesetzgeber den zulagenrechtlichen Herstellungsbeginn bei Gebäuden auf einen Zeitpunkt nach Einreichung des Bauantrags bei der Genehmigungsbehörde zurückverlegen. Aus dem Gesetzeswortlaut geht dies jedoch nicht eindeutig hervor. Deshalb wird auch vertreten, dass die Fiktion des Beginns der Gebäudeherstellung nach dem InvZulG 2010 dazu geführt habe, dass der Investitionsbeginn in der Regel früher anzunehmen sei, da auch die Erstellung von Unterlagen für den Bauantrag der Ausführung des Bauvorhabens zuzuordnen sei.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob ein Vertrag, durch den ein Architekt mit der Planung eines zu errichtenden Gebäudes beauftragt wird, als ein der Ausführung zuzurechnender Leistungsvertrag i.S. von § 4 Abs. 2 Satz 5 InvZulG 2010 anzusehen ist. Insbesondere kann er offenlassen, ob die Ausführungsplanung (§ 3 Abs. 4 Nr. 5 HOAI 2009) der Bauausführung zuzurechnen ist. Denn durch den Vertrag vom 13. April 2011, der nach seinem Inhalt die Grundleistungen der Leistungsphasen 5 bis 9 i.S. des § 3 Abs. 4 HOAI 2009 umfasste, beauftragte die Klägerin die M-GmbH nicht nur mit der Erbringung von Planungsleistungen, sondern auch mit der Bauüberwachung. Spätestens die Leistungsphase 8 (Objektüberwachung - Bauüberwachung oder Bauoberleitung) nach § 3 Abs. 4 Nr. 8 HOAI 2009 ist der Bauausführung zuzurechnen. Es handelt sich um eine Leistung, die ein Architekt in der Phase erbringt, in der auf einer Baustelle Bauarbeiten durchgeführt werden. Der Umstand, dass zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin der M-GmbH (u.a.) die Bauüberwachung übertrug, die zu überwachenden Bauarbeiten noch gar nicht vergeben waren, ändert hieran nichts.
Der Senat teilt nicht die Bedenken des FG im Hinblick darauf, dass die M-GmbH nach § 21 des Vertrags vom 13. April 2011 keinen Honoraranspruch für die Leistungsphasen 5 bis 9 gehabt hätte, wenn die Klägerin diese Leistungen nicht abgerufen oder an einen Dritten vergeben hätte (Projektabbruch), so dass noch gar nicht festgestanden habe, ob die Leistungsphase 8 beauftragt würde. An der Wirksamkeit des Vertrags vom 13. April 2011 änderten diese Einschränkungen schon deshalb nichts, weil sie nicht zum Tragen kamen.
Aus einer Rechnung der M-GmbH vom 20. April 2011, die Bestandteil des vom FG erwähnten Zulagenantrags für das Jahr 2011 und damit Bestandteil der Feststellungen des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO ist, geht hervor, dass zu diesem Zeitpunkt die Leistungen der Leistungsphase 5 zu 65 % erbracht waren. Im Jahr 2011 stand daher fest, dass ein Abbruch des Bauvorhabens nach der Leistungsphase 4 ausschied. Die Sache ist nicht spruchreif. Aus den Feststellungen des FG ist nicht zu ersehen, ob die Erhöhung des Zulagensatzes von 5 % auf 7,5 % (unbewegliche Wirtschaftsgüter) und von 10 % auf 15 % (bewegliche Wirtschaftsgüter) zu den Erhöhungsbeträgen führt, die die Klägerin in ihrem Klageantrag genannt hat (8.207,48 EUR für 2011 und 56.139,88 EUR für 2013). Das FG wird die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.
Der Autor:
Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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