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Wiedereinsetzung (Kommentar von Udo Cremer)

24.07.2012  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Unser Autor Udo Cremer beleuchtet die aktuelle Rechtsprechung des BFH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Verlustfeststellungsbescheiden.

Die Beteiligten streiten darüber, ob wegen Versäumnisses der Einspruchsfrist gegen den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 (Streitjahr) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Die Klägerin begehrt, einen höheren vortragsfähigen Verlust zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 festzustellen. In der Sache geht es um (weitere) Verpflegungsmehraufwendungen von 1.164 €. Die Klägerin war im Streitjahr als Biologin an einem Forschungszentrum nichtselbständig tätig. Sie begehrte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung. Das FA kürzte lediglich die Verpflegungsmehraufwendungen um 1.164 € und setzte mit Bescheid vom 23.3.2006 die Einkommensteuer des Streitjahres auf 0 EUR fest. Dabei ging das FA von einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 18.802 € aus; dieser verminderte sich um den auf den 31.12.2004 festgestellten Verlustvortrag von 14.861 €. Im Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2005 wurde der Verlustvortrag ebenfalls auf 0 € festgestellt (verbleibender Verlustvortrag zum 31. Dezember 2004 vermindert um den im Jahr 2005 voll verbrauchten Verlustvortrag). Die Klägerin legte hiergegen zunächst keinen Einspruch ein.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BFH zu Aufwendungen für ein Erststudium reichte die Klägerin am 25.9.2006 Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 ein und focht im Hinblick auf die verbliebenen Verpflegungsmehraufwendungen von 1.164 €, am 4.10.2006 neben dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr auch den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2005 an. Das FA führte für die Jahre 1999 bis 2001 die Einkommensteuerveranlagungen durch und berücksichtigte die beantragten Verluste. Das führte dazu, dass die Verlustfeststellung zur Einkommensteuer auf den 31.12.2004 auf 22.542 € (durch Bescheid vom 6.6.2008) und auf den 31.12.2005 auf 3.740 € (durch Bescheid vom 1.9.2008) erhöht wurde. Das FA verwarf die Einsprüche gegen die Bescheide für das Jahr 2005 als unzulässig. Die Klage gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 blieb erfolglos. Das FG führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 801 veröffentlichten Urteil zur Begründung aus: Der Einspruch sei verfristet gewesen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren. Irrtümer, die nicht die Fristwahrung unmittelbar selbst beträfen, seien für Zwecke der Wiedereinsetzung unbeachtlich. Die Klägerin hätte es in der Hand gehabt, ihre Beschwer durch die Abgabe der Einkommensteuererklärungen für 1999 bis 2001 zu konkretisieren.

Die Revision ist unbegründet (BFH-Urteil vom 29.2.2012, IX R 3/11). Zutreffend hat es das FG abgelehnt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der unstreitig versäumten Einspruchsfrist zu gewähren. Gemäß § 110 Abs. 1 AO ist dem Steuerpflichtigen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies ist der Fall, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Wegen unverschuldeten Rechtsirrtums kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn sich der Irrtum auf die Frist selbst oder die Form der Fristwahrung bezieht. Irrtümer über materielles Recht begründen dagegen eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht; denn in diesen Fällen kann dem Steuerpflichtigen oder seinem Berater zugemutet werden, sich über die Verfahrensrechte zu informieren und in der gebotenen Weise davon Gebrauch zu machen. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Ob der Steuerpflichtige unter den gegebenen Umständen ohne Verschulden gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage.

Im Streitfall hat das FG die rechtlichen Maßstäbe richtig angewandt, die nach der Rechtsprechung des BFH bei der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugrunde zu legen sind. Die Klägerin hätte diese Aufwendungen bereits mit einem fristgerechten Einspruch gegen den ursprünglichen Feststellungsbescheid vom 23.3.2006 darlegen müssen. Ihr diesbezüglicher Rechtsirrtum bezieht sich jedenfalls mitursächlich nicht nur auf das Wahren der Einspruchsfrist, sondern vor allen Dingen auf das materielle Recht des Verlustabzugs im Streitjahr. Auch wenn die Klägerin mit dem Einspruch den Ansatz von Verpflegungsmehraufwand im Rahmen der doppelten Haushaltsführung begehrt und die steuerrechtliche Qualifizierung ihrer Studienkosten als Erwerbsaufwand zunächst nicht das Streitjahr, sondern die Veranlagungszeiträume von 1999 bis 2001 betrifft, sind diese Aufwendungen auch für die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs des Streitjahres materiell-rechtlich wirkende Bezugsgrößen.

Der Autor:

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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