Online-Weiterbildung
Präsenz-Weiterbildung
Produkte
Themen
Dashöfer

Wohnungseigentum: Mietern können keine Zahlungspflichten auferlegt werden

16.08.2022  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: IBR Immobilien & Baurecht.

WEG §§ 16, 44: Ermöglicht es ein Beschluss dem Wortlaut nach, dass einem Dritten, nämlich dem Mieter, Zahlungspflichten auferlegt werden sollen, ist der Beschluss nichtig. Denn für die Auferlegung von Kosten an den Mieter liegt eine Beschlusskompetenz der Gemeinschaft nicht vor. (AG Rosenheim, Urteil vom 25.02.2022 - 8 C 1259/21)

AG Rosenheim Urteil vom 25.02.2022 8 C 1259/21

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Beschluss zu TOP 9 (Abschattung OG: eventuelle Schäden durch die nachträgliche Montage der Abschattung im 3. Stock oder durch Wind verursachte Schäden oder Wartungs- und Reparaturkosten bleiben beim Nutzer) der Eigentümerversammlung der vom 27.07.2021 nichtig ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Beschlusses aus der Eigentümerversammlung vom 27.07.2021. Die Eigentümerversammlung vom 27.07.2021 fand innerhalb der Untergemeinschaft der Eigentümer der statt. Die Kläger sind Eigentümer der Penthouse Wohnung in dieser Untergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 27.07.2021 wurde unter TOP 9 folgender Beschluss gefasst: "Abschattung OG: Eventuelle Schäden durch die nachträgliche Montage der Abschattung im 3. Stock oder durch Wind verursachte Schäden oder Wartungs- und Reparaturkosten bleiben beim Nutzer"

Es stimmten insgesamt 585,330 Miteigentumsanteile mit, wobei auf Ja-Stimmen 267,040 und auf Nein-Stimmen 265,950 Miteigentumsanteile entfielen. Der Beschluss kam daher mit einfacher Mehrheit zustande. Die Außenrollos, auf die sich der Beschluss bezieht, wurden an insgesamt drei Häusern bei den nach Süden ausgerichteten Penthouse Wohnungen angebracht. Darunter befindet sich auch die den Klägern gehörende Wohnung. Die Anbringung bzw. Veränderung erfolgte nach Fertigstellung. Die Teilungserklärung der im Rubrum angegebenen Wohnungseigentümergemeinschaft wurde diesbezüglich nicht geändert. Bei den Rollos handelt es sich um Gemeinschaftseigentum. Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Anbringung der Rollos keine bauliche Veränderung darstelle, da die Maßnahme vom Bauträger durchgeführt wurde und im Wege der Mangelbeseitigung angebracht wurde. Die Klage wurde mittels besonderem elektronischen Anwaltspostfach eingereicht. Die Klage enthielt hierbei eine einfache Signatur von Frau Rechtsanwältin, welche freie Mitarbeiterin der Rechtsanwältin ist. Die Einreichung erfolgte über das besondere elektronische Anwaltspostfach der Rechtsanwältin. Die Kläger sind der Meinung, dass der Beschluss den Anforderungen von § 16 WEG nicht genüge. Grundsätzlich hätten die Wohnungseigentümer die Kosten nach dem Verhältnis ihres Anteils zu tragen. Eine abweichende Verteilung könne nur für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten beschlossen werden. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. In dem Beschluss würden nicht einzelne, konkret bezifferte, bestimmte Kosten, sondern unbestimmte Kosten den Klägern auferlegt werden, die für diese nicht absehbar und abschätzbar wären. Zudem sei der Beschluss nichtig, da für eine Auferlegung von Kosten auf den "Nutzer" keine Beschlusskompetenz bestehe.

Die Kläger beantragen: Der Beschluss zu TOP 9 (Abschattung OG: eventuelle Schäden durch die nachträgliche Montage der Abschattung im 3. Stock oder durch Wind verursachte Schäden oder Wartungs- oder Reparaturkosten bleiben beim Nutzer) der Eigentümerversammlung der vom 27.07.2021 wird für ungültig erklärt.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Die Beklagte ist der Meinung, dass die Klage schon nicht fristgemäß erhoben wurde. Die einfache Signatur und Übermittlung eines Schriftsatzes per beA erfordere Personenidentität. Im Schriftsatz müsse sich daher am Ende der Namenszug des über beA übermittelnden Anwalts befinden. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Zudem sei die Klageerhebung durch eine nicht bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgt. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung durch Frau Rechtsanwältin sei zwar dieser von der Rechtsanwältin Untervollmacht erteilt worden, nicht aber sei zu diesem Zeitpunkt der Klageerhebung der Rechtsanwältin bereits Vollmacht seitens der Kläger erteilt worden. Dies ergebe sich aus der vorliegenden Vollmacht, die auf einen späteren Zeitpunkt als die Untervollmacht datiere. Hinsichtlich einer Versäumung der Klagefrist beantragen die Kläger hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Insofern habe das Gericht seine Fürsorgepflicht verletzt, indem es nicht auf den formellen Fehler in der Klageeinreichung hinwies. Die Beklagte beantragt Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Gericht hat Beweis erhoben durch informatorische Anhörung des Klägers zu 2) in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2022. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

  1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Amtsgericht Rosenheim das sachlich und örtlich gemäß §§ 23 Nr. 2c GVG und 43 WEG zuständige Gericht.
  2. Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss ist nichtig.
    1. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war zu gewähren. Letztlich spielt dies jedoch materiell keine Rolle, da Nichtigkeitsgründe keiner Fristbindung unterliegen.
      1. Zutreffend hat die Beklagte ausgeführt, dass das Gericht eine Hinweispflicht dahingehend gehabt hätte, dass die Klageschrift einen Formfehler aufwies. Das Gericht hätte erkennen können, dass keine Personenidentität zwischen dem beA und der unterzeichnenden Rechtsanwältin besteht. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher zu gewähren.
      2. Das Gericht sieht im Übrigen kein Problem darin, dass die Untervollmacht für die unterzeichnende Rechtsanwältin auf den 11.08.2021 datiert, während die Prozessvollmacht, die von den Klägern unterzeichnet ist, auf den 20.08.2021 datiert.
      In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zu 2) nachvollziehbar ausgeführt, dass er bei der Erstaufnahme mit der Anwaltskanzlei direkt Kontakt mit Frau Rechtsanwältin gehabt hatte. Diese Kontaktaufnahme sei telefonisch erfolgt und die Vollmacht sei dann später erst nachgereicht worden. Die Vollmacht sei ihm und seiner Frau zugeschickt worden und dann unterschrieben zurückgeschickt worden. Daher befinde sich ein späteres Datum auf der Vollmacht. Das Gericht hat daher keine Zweifel daran, dass Frau Rechtsanwältin zum Zeitpunkt der Klageerhebung ausreichend bevollmächtigt war. Die Ausführungen im Schriftsatz der Beklagtenpartei vom 23.02.2022 zur ersten telefonischen Kontaktaufnahme sind rein spekulativer Natur.
    2. Ob der Beschluss inhaltlich die Grenzen des § 16 Abs. 2 Satz 2 einhält war nicht mehr zu prüfen, da der Beschluss bereits nichtig ist mangels Beschlusskompetenz.
      Unerheblich ist insofern, dass die Nichtigkeit nicht innerhalb der Klagebegründungsfrist ausdrücklich vorgebracht wurde, denn die Nichtigkeit ist kein fristgebundener Anfechtungsgrund (Bärmann/Roth, 14. Aufl. 2018, WEG § 46 Rn. 6) Unerheblich ist ferner, dass im Klageantrag nicht ausdrücklich auch die Feststellung der Nichtigkeit aufgeführt ist, denn die Nichtigkeit sowie die Unwirksamkeit eines Beschlusses aus anderen Gründen bilden insofern einen einheitlichen Streitgegenstand (Bärmann/Roth, 14. Aufl. 2018, WEG § 46 Rn. 6). Der Antrag der Klagepartei ist vor diesem Hintergrund auch dahingehend auszulegen, dass die Gültigkeit des angegriffenen Beschlusses auch im Hinblick auf die Nichtigkeitsfrage zur Prüfung des Gerichts gestellt ist (Bärmann/Roth, 14. Aufl. 2018, WEG § 46 Rn. 8).
      Gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG sind Beschlüsse nichtig, wenn sie gegen zwingende Normen verstoßen.
      Formell nichtig sind insbesondere Beschlüsse, die die Wohnungseigentümerversammlung trotz Fehlens der Beschlusskompetenz fasst. Vorliegend trifft der angefochtene Beschluss zu TOP 9 eine Regelung, wonach Kosten dem "Nutzer" auferlegt werden. Nutzer kann zwar sowohl der Eigentümer der Einheit sein, Nutzer kann aber ebenso gut der Mieter der Einheit sein. Der Beschluss ermöglicht es dem Wortlaut nach mithin, dass hier einem Dritten, nämlich dem Mieter, Zahlungspflichten auferlegt werden sollen. Für die Auferlegung von Kosten an den Mieter liegt eine Beschlusskompetenz der Gemeinschaft jedoch nicht vor.
      Ein entsprechender Beschluss ist nichtig (vgl. BeckOGK/Hermann WEG § 23, Rn. 141). Die Ausführungen der Beklagtenpartei im Schriftsatz vom 23.02.2022 führen nicht zu einem anderen Ergebnis; dass die beschließenden Eigentümer dem Wort "Nutzer" (angeblich) keine Bedeutung beigemessen haben, weil der Beschluss eine Einheit betrifft, die nicht vermietet ist, stellt nur eine Momentaufnahme da. Die jetzt bewohnenden Eigentümer könnten die Einheit jederzeit auch vermieten oder ihre Einheit verkaufen. Spätestens dann kann streitig und ggf. entscheidend werden, wie die Regelung auszulegen ist. Eine Auslegung dahingehend, dass mit "Nutzer" allein der Eigentümer gemeint sein soll geht jedoch wohl am Wortlaut vorbei. Dies insbesondere deswegen, weil in derselben Eigentümerversammlung unter TOP 5 und TOP 6 eine Kostenregelung zulasten des jeweiligen "Eigentümers" getroffen wurde. Es lässt sich also bereits im Protokoll der gegenständlichen Eigentümerversammlung eine Differenzierung finden, die eine Auslegung des Wortes "Nutzer" dahingehend, dass der "Eigentümer" gemeint ist, als äußerst zweifelhaft erscheinen lässt.
      Aufgrund der Nichtigkeit waren weitere Unwirksamkeitsgründe nicht zu prüfen.
    3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

Bild: Alex Tim (Pexels, Pexels Lizenz)

nach oben
FAQ